Sportboykotte gegen NS-Deutschland
Das autoritär, wenn nicht diktatorisch regierte Katar ist mit Nazi-Deutschland nicht zu vergleichen. Wenn an dieser Stelle an wenig bekannte Boykott-Aktionen gegen Sportveranstaltungen der NS-Zeit erinnert wird, sollen keine simplen historischen Parallelen gezogen werden. Allerdings ist zu berücksichtigen: Die berechtigten Boykottforderungen vor den Olympischen Spielen 1936 richteten sich noch nicht gegen das Deutschland des Holocaust und der Kriegsverbrechen (das sich damals noch niemand vorstellen mochte), sondern „nur“ gegen eine rassistische, antisemitische Diktatur.
Frappierend ähnlich ist ein anderer Umstand: Damals wie heute begnügte sich das IOC (ebenso wie die FIFA) mit der Versicherung des Gastgeberlandes, man werde die Menschenrechte im Rahmen der Olympischen Spiele (bzw. des WM-Turniers) einhalten. Die übrige politische Situation in Deutschland, wo schon seit September 1935 die Nürnberger Rassegesetze galten, interessierte die IOC-Bosse dagegen nicht.
Diskussionen um Olympia 1936
Als die Nazi-Machthaber 1933 die Austragung der Olympischen Spiele erbten (sie war Berlin bereits 1931 vom IOC zugesprochen worden), erkannten sie darin einen Glücksfall und die Möglichkeit, „die weltweite öffentliche Meinung mit kulturellen Mitteln zu beeinflussen. (…) Man muss der Welt zeigen, was das neue Deutschland kulturell zu leisten vermag“, so Propagandaminister Goebbels. Ein klarer Fall von Sportwashing, würden wir heute sagen. Gegenüber internationalen Skeptikern versicherte die Reichsführung, dass „sämtliche Vorschriften, denen die Olympischen Spiele unterliegen, eingehalten werden“ und dass „deutsche Juden grundsätzlich nicht aus der deutschen Mannschaft für die Olympiade ausgeschlossen werden“. Dem IOC reichte das.
Dennoch entstanden vor 1936 kleinere Boykottbewegungen in Skandinavien und Großbritannien, die aber keine große Wirkung erzielten. In den USA hingegen riefen die antisemitischen Rassegesetze im Deutschen Reich stärkere Besorgnisse hervor. Eine Petition gegen die Teilnahme der US-Sportler*innen erzielte eine halbe Million Unterschriften, es gab Protestveranstaltungen mit Zehntausenden Teilnehmer*innen. Auch die American Athletic Union (AAU) sprach sich für einen Boykott der Spiele aus, sofern die Teilnahme jüdischer Athlet*innen „nicht faktisch ebenso wie theoretisch“ garantiert werde.
Avery Brundage, Vorsitzender des Nationalen Olympischen Komitees der USA, Mitglied des IOC (und später, ab 1952, dessen Präsident), versuchte, die Proteste zu untergraben. Er war selbst Antisemit und brüstete sich damit, dass seine Sportklubs in Chicago Juden ausschlössen. Von einer „Erkundungstour“ durchs Deutsche Reich kam er mit der Versicherung zurück, es gebe „keinerlei Diskriminierung“ von Juden im deutschen Sport. Als die Deutschen zusagten, zwei „Halbjuden“ zu den Spielen antreten zu lassen – die Fechterin Helene Mayer und den Eishockeyspieler Rudi Ball (beide lebten im Ausland), konnte sich Brundage im US-NOK durchsetzen. Auch die AAU sprach sich auf einer Delegiertenversammlung mit knapper Mehrheit (58:56) für die Teilnahme aus. Brundage hatte die entscheidende Abstimmung um einen Tag verschoben, weil sich eine Niederlage abzeichnete und er weitere Delegierte aus seinem Lager herbeirufen konnte. Die USA traten somit 1936 in Garmisch-Partenkirchen und in Berlin an.
Fußball-Boykotte 1938, 1939
Die internationalen Fußballbeziehungen liefen nach 1933 zunächst „as usual“. Zuweilen kam es bei Spielen der deutschen Nationalelf im Ausland zu Protesten und Demonstrationen, so im März 1935 in Paris und im Dezember 1935 in London; beide Male distanzierten sich die nationalen Fußballverbände von diesen Aktionen. Auch als bei der WM 1938 die „großdeutsche“ Mannschaft mit einer offensichtlich auf politischen Druck zusammengestellten Elf antrat – paritätisch besetzt mit Spielern aus dem „Altreich“ und der gerade einverleibten „Ostmark“ (Österreich) – störte sich die FIFA nicht an diesem politischen Eingriff.
Kurz danach allerdings folgten als historische Einschnitte im November 1938 die Reichspogromnacht, die eine neue Brutalität der Nationalsozialisten gegenüber den Juden demonstrierte, und im März 1939 der Überfall auf die Tschechoslowakei. Dieses militantere Vorgehen des NS-Regimes hatte nun doch Auswirkungen auf die sportlichen Auslandsbeziehungen.
Einen Monat nach der Reichspogromnacht sagte der Rotterdamer Bürgermeister das geplante Fußball-Länderspiel zwischen den Niederlanden und Deutschland ab. Der „Kicker“, Organ des DFB, reagierte in einem Artikel seines Hauptschriftleiters Müllenbach mit offen antisemitischen Beschimpfungen: „Holland war für diese jüdisch-bolschewistische Clique schon lange ein günstiger Boden.“ Man wisse, „daß der Kampf der Juden und ihrer bezahlten Helfer nichts und gar nichts anderes ist, als eine bewußte Gefährdung des Friedens unter den Völkern. Nun blieb es den holländischen Behörden vorbehalten, sich ins Schlepptau dieser Hetzer nehmen zu lassen.“
Nach dem Einmarsch deutscher Truppen in die Tschechoslowakei sagte der FC Everton eine geplante Tournee durch Deutschland ab, und der französische Innenminister verbot ein Länderspiel gegen Deutschland. Prompt empörte sich „Kicker“-Chef Müllenbach über eine „große englische Hetzkampagne“ bzw. einen „Hetzfeldzug“ in Frankreich. Die zuvor meist bewunderten englischen Profis waren nun nur noch „Sklaven des Geldes der Plutokratie“.
Als Hitler-Deutschland den Weltkrieg entfesselt hatte, rissen die Kontakte zu den Fußballverbänden der Kriegsgegner zwangsläufig ab. Die Verbände der neutralen Länder Schweden und Schweiz dagegen standen dem deutschen Fußball weiterhin zu Diensten. Als deren Teams im Herbst 1942 die deutsche Elf mit „Freundschaftsspielen“ beehrten, waren in Auschwitz-Birkenau bereits die Gaskammern in Betrieb.
Bernd Beyer