WM 1942 – Das Turnier, das die Nazis veranstalten wollten

Bei den Olympischen Spielen 1936 sowie dem WM-Turnier von 1938 hatte die deutsche Nationalelf schmählich versagt. Doch das wog letztlich wenig gegenüber dem Propagandaerfolg, den die Nazis mit den Berliner Spielen insgesamt verbuchen konnten. Außerdem hatten sie schon bei der WM 1934 in Italien erlebt, wie wunderbar Faschistenführer Mussolini auch ein Fußballturnier für seine politischen Zwecke ausbeuten konnte. So wundert es nicht, dass die nationalsozialistische Sportführung darauf erpicht war, schon bald ein WM-Turnier ins Reich zu holen.

Die Vorzeichen dafür schienen widersprüchlich. Angeblich hatte FIFA-Präsident Jules Rimet den Deutschen den Zuschlag für 1942 versprochen, weil sie auf eine Bewerbung für 1938 verzichtet hatten. (Diese WM wollte und erhielt  Rimets für sein Heimatland Frankreich.) Andererseits gab es ein informelles Agreement innerhalb der FIFA, demzufolge nach zwei Turnieren in Europa nun wieder Südamerika an der Reihe war. Ohnehin waren die dortigen Verbände zutiefst verärgert gewesen, nicht schon 1938 berücksichtigt worden zu sein. Brasilien hatte sich bereits offiziell beworben und argwöhnte, durch eine heimliche Absprache zwischen Frankreich und Deutschland ausgebootet worden zu sein.

„Deutschland zur Ausrichtung übertragen“

So mag es ein politisch motivierter Versuch gewesen sein, die Hängepartie zu beeinflussen, als das „Deutsche Nachrichtenbüro“ am 20. Dezember 1939 verbreitete, bei der Sitzung des FIFA-Vorstandes in Genua sei „endgültig beschlossen (worden), die vierte Weltmeisterschaft 1942 Deutschland zur Ausrichtung zu übertragen“.

Die FIFA dementierte umgehend und verwies darauf, allein der für 1940 in Luxemburg geplante FIFA-Kongress sei befugt, über die Vergabe zu entscheiden. Zudem hatte man in Genua ohne einen südamerikanischen Delegierten getagt, was einen solchen Beschluss erst recht unwahrscheinlich machte. FIFA-Generalsekretär Ivo Schricker erklärte die Meldung daher als „in allen Teilen vollkommen erfunden“. Angesichts dieser eindeutigen Klarstellung blieb auch dem DFB bzw. seinem Nachfolger, dem „Fachamt Fußball“ im Nationalsozialistischen Reichsbund für Leibesübungen, nichts anderes übrig, als sich von der Presseente zu distanzieren.

Letztendlich versandete die Angelegenheit, denn der geplante FIFA-Kongress in Luxemburg fiel dem Weltkrieg zu Opfer – wie die gesamte WM 1942 und als Kriegsfolge auch das Turnier von 1946. Das deutsche Team, das in Herbergers Masterplan erst bei den (ebenfalls abgesagten) Olympischen Spielen 1940 in Tokio und danach bei einem WM-Turnier vor heimischer Kulisse groß auftrumpfen sollte, wurde von den deutschen Kriegshetzern selbst um möglichen Lorbeer gebracht.

Die FIFA sollte vereinnahmt werden

Was der Weltkrieg hingegen nicht verhinderte, sondern eher beförderte, waren Pressionsversuche der deutschen Sportführung gegenüber der FIFA. Schon länger beklagte man einen zu geringen Einfluss des DFB auf den internationalen Verband. Nun, da der Krieg ordentliche Tagungen der FIFA-Gremien unmöglich machte, sah man die Chance, „die Spitze aller internationalen Verbände entsprechend der ohne Zweifel eintretenden neuen Weltlage umzugestalten“. Das jedenfalls schrieb im Juli 1940 Peco Bauwens, der für den DFB im Exekutivkomitee der FIFA saß, ein erzkonservativer Funktionär, der keineswegs gewillt war, seine persönliche Karriere sowie das Wohlergehen seines großen Kölner Bauunternehmens durch eine regimekritische Haltung zu gefährden. Adressat seines Schreibens war FIFA-Generalsekretär Ivo Schricker, ebenfalls ein Deutscher mit DFB-Vergangenheit, zugleich ein Kosmopolit, der mit diplomatischem Geschick Distanz zum NS-Regime zu wahren suchte.

Die Korrespondenz der beiden Gegenspieler hat der Sporthistoriker Dr. Arthur Heinrich untersucht. Demzufolge planten die Deutschen, die Entscheidungsstrukturen der FIFA zugunsten der großen Verbände zu reformieren und FIFA-Präsident Jules Rimet abzulösen. Vermutlich hatte man dessen Stellvertreter, den Italiener Giovanni Mauro, als Nachfolger im Auge, wobei den Deutschen zumindest ein Vizepräsidenten-Stuhl zustehen sollte.

Da die FIFA 1932 ihren Sitz in einem „Akt der Klugheit“ (so Schricker an Bauwens) in der neutralen Schweiz genommen hatte, war den Deutschen der gewaltsame Zugriff verwehrt. Zugleich aber sah sich der Verband räumlich eingeschlossen von Deutschland (incl. „Ostmark“), dem deutsch besetzten Teil Frankreichs sowie dem faschistischen Italien. Faktisch hatten Deutsche und Italiener per Visa-Erteilung die Kontrolle darüber, welche Mitglieder überhaupt zu FIFA-Treffen in Zürich gelangen konnten. „Und davon“, so Heinrich, „gedachte man im Januar 1941 offensichtlich Gebrauch zu machen.“ Bauwens gelang es, sich mit italienischer Hilfe in das einzige halbwegs handlungsfähige FIFA-Gremium zu drängeln, den sog. Dringlichkeitsausschuss. Doch eine grundlegende FIFA-Reform blockte Schricker mit dem stoischen Hinweis ab, dafür sei das Votum eines FIFA-Kongresses erforderlich – und der könne erst nach Ende des Krieges zusammentreten.

Karrieren nach dem Krieg

Als der Weltkrieg tatsächlich vorbei und das Nazi-Regime besiegt war, vollzog Bauwens eine wenig erstaunliche Kehrtwendung und behauptete nun, er habe „gegen diese Versuche gearbeitet“, von deutscher Seite „die Kontrolle über die ‚FIFA’ zu erlangen“. Nähere Auskünfte über seinen Widerstand gab er nicht, und Historiker Heinrich konnte auch keine Hinweise darauf finden. Doch Bauwens galt als unbelastet genug, 1950 zum ersten Präsidenten des wiedergegründeten DFB gewählt zu werden.

Eine noch schönere Karriere machte übrigens vor und nach 1945 der Mann, der zusammen mit Bauwens die sportpolitischen Fäden gezogen hatte. Der hieß Guido von Mengden und war als westdeutscher Provinzfunktionär schon in der Weimarer Zeit mit antisemitischen Tiraden aufgefallen. In der Nazi-Zeit avancierte er zum SA-Sturmbannführer und legte zugleich einen steilen beruflichen Aufstieg hin, der ihn auf den einflussreichen Posten des Generalreferenten beim Reichssportführer brachte. Der Sporthistoriker Hajo Bernett nannte ihn den faktischen „Generalstabschef“ des deutschen Sports. Guido von Mengden gab dem willigen Peco Bauwens die Marschrichtung vor: Der internationale Einfluss, den Deutschland durch den „infamen Rausschmiss“ nach dem Ersten Weltkrieg verloren habe, müsse wiederhergestellt werden, indem man, so von Mengden,  in den Verbänden „ein wenig aufräume“. Für den sonst diplomatisch-zurückhaltenden FIFA-Generalsekretär Schricker war Guido von Mengden „der übelste Nazi-Vertreter“, „höchst unsympathisch“ und „ein übler Bursche“.

Doch auch für diese Figur bedeutete der Zusammenbruch von Nazi-Deutschland nicht das Karriereende, im Gegenteil: 1964 wurde Guido von Mengden Hauptgeschäftsführer des Deutschen Sportbundes und ein paar Jahre später Generalsekretär des Nationalen Olympischen Komitees. Er war von der „braunen“ zur „grauen“ Eminenz des deutschen Sports geworden.


Bernd Beyer