WM 1982: Kein Fest für den Generalísmo

Als 1982 die WM-Endrunde in Spanien stattfand, war das Land erfolgreich dabei, seine Vergangenheit als Diktatur endlich zu überwinden. Hat die FIFA mit ihrer Gastgeberwahl diesen Weg honoriert? Keineswegs ...

„Boykott“ auf dem Spielfeld

Die 12. FIFA Fußball-Weltmeisterschaft fand 1982 mit Spanien in einem Land statt, das zu jenem Zeitpunkt nur wenig Anlass zu einem Boykott bot, zumindest was die politische und soziale Lage betraf. Nach fast 40 Jahren franco-faschistischer Diktatur befand sich Spanien nach dem Tod des Generalísmo (1975) in den Endjahren der Periode, die Historiker heute als Transición bezeichnen. Spätestens seitdem rund 18 Monate vor Beginn der WM ein bewaffneter Staatsstreich unblutig und hauptsächlich durch das kluge wie geduldige Einwirken des jungen Staatsoberhauptes König Juan Carlos I beendet wurde, befand sich das Land auf dem Weg in eine Demokratie westlicher Prägung. 

Und doch kam es bei der Weltmeisterschaft 1982 gewissermaßen zu einem Boykott, und zwar auf dem Spielfeld. Beim 1:0 zwischen Deutschland und Österreich in Gijón, das beiden zum Sprung in die Zwischenrunde verhalf und Algerien frühzeitig nach Hause beförderte, wurde von den beiden Nachbarländern so ziemlich alles boykottiert, was den Fußball ausmachen sollte, allem voran das Fairplay. 

Das unwürdige Ballgeschiebe, das die beiden Teams in der zweiten Halbzeit ungeniert darboten, provozierte nicht nur die Zuschauer im Estadio El Molinón, sondern auch Millionen vor den Bildschirmen. Die Akteure auf dem Rasen kümmerte das jedoch wenig, sie spielten das für beide favorable Ergebnis bis zum Schluss herunter. Wasser auf die Mühlen derer, die fast 40 Jahre nach dem Weltkrieg wieder die „hässlichen Deutschen“ zu erkennen begannen. Toni Schumachers brutales Foul an Patrick Battiston im Halbfinale gegen Frankreich und besonders seine arrogante Reaktion im Anschluss daran taten ihr Übriges.

FIFA mit Fingerspitzengefühl?

Für die junge spanische Demokratie bot die WM eine exzellente Gelegenheit, sich als weltoffenes Land auf dem Weg in die Europäische Gemeinschaft zu präsentieren. Die Beitrittsverhandlungen liefen bereits seit 1977, der Beitritt selbst sollte jedoch letztendlich 1986 gemeinsam mit Portugal erfolgen. Im WM-Jahr 1982 wurde der Beitritt zur NATO vollzogen, der innerhalb des Landes durchaus umstrittener war als der zur Europäischen Gemeinschaft. Im Prinzip könnte man also an dieser Stelle dem Fußball-Weltverband gratulieren. Scheinbar wurde mit viel Fingerspitzengefühl ein Gastgeber ausgewählt, der sich nach Jahrzehnten der Isolation auf dem richtigen politischen und gesellschaftlichen Weg befand. Ein Stups in die richtige Richtung: die WM als Wegbereiter in die Demokratie und zur Verfestigung rechtsstaatlicher Strukturen. Dass die FIFA hier ein glückliches Händchen hatte, lässt sich nicht bestreiten. Wer hier allerdings Absicht unterstellt, der irrt bzw. geht davon aus, dass die damaligen Funktionäre hellseherische Fähigkeiten hatten.

Die Vergabe für die WM 1982 fand nämlich bereits 16 Jahre zuvor statt, und zwar auf dem FIFA-Weltkongress in London im Jahr 1966. Nie zuvor und nie danach legte sich der Weltverband so frühzeitig auf einen Austragungsort fest. Zeitgleich erfolgten die Vergaben der Turniere von 1974 und 1978 an Deutschland und Argentinien. Und selbst wenn uns 16 Jahre Weltgeschichte aus heutiger Sicht kurz erscheinen, muss man konstatieren, dass das faschistische Spanien von 1966 nur äußerst wenig mit dem Land zu tun hatte, das 1982 tatsächlich das Turnier austragen sollte. Die FIFA vergab 1966, nur gut 20 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkrieges, ihr wichtigstes Fußball-Event an einen totalitären, faschistischen Staat, der bis zu jenem Zeitpunkt zehntausende Regimegegner hatte hinrichten lassen bzw. in Konzentrationslagern und Gefängnissen inhaftiert hatte. 

Auch wenn man damals davon ausgehen konnte, dass Francisco Franco das Turnier nicht mehr miterleben würde – er wäre beim Turnierstart 89 Jahre alt gewesen –, war unvorhersehbar, was danach kommen würde. Die Ernennung von Juan Carlos I. als Nachfolger Francos erfolgte erst 1969. Und selbst wenn diese bereits 1966 festgestanden hätte, wäre sie keine Garantie für einen Übergang in eine Demokratie gewesen. Nicht umsonst dauerte der Prozess der Transición sieben Jahre und stand wie erwähnt sogar noch 1981 beim versuchten Putsch auf der Kippe.

Diktator Franco greift ein

Der Fußball war für Francisco Franco – ganz in der Tradition anderer autoritärer Regime – Mittel zur Machtdemonstration und Propaganda-Werkzeug zugleich. Wie eng Sport und Politik miteinander verschlungen waren, zeigte beispielsweise der Europokal der Nationen 1960, der heute als so etwas wie die erste Fußball-Europameisterschaft gilt. Das Turnier, das über mehrere Jahre verteilt ausgespielt wurde, sah im Viertelfinale die Begegnung der Spanier gegen die Sowjetunion vor. Diese wurde jedoch kurzerhand vom spanischen Verband – freilich auf Geheiß des Generalísimo höchstselbst – abgesagt. Eine Partie auf Feindesboden war schlicht unvorstellbar. Sicherlich spielte auch die Angst mit, trotz der exzellent aufgestellten Nationalelf das Duell und somit auch das Gesicht zu verlieren. Ein zu heikles politisches Unterfangen in einer Zeit, in der die wirtschaftliche Lage in Spanien aufgrund der jahrzehntelangen Isolation immer prekärer wurde, wenngleich Ende der 1950er Jahre ein Prozess der internationalen Öffnung eingeleitet worden war.

Da der Fußball im Faschismus natürlich nur dann als Demonstration der eigenen Überlegenheit taugt, wenn ausschließlich nationale Spieler erfolgreich sind, beschloss Franco bereits 1953, dass in der Primera División – schon damals eine Profiliga – keine Ausländer verpflichtet werden durften. Wie in allen anderen gesellschaftlichen Bereichen herrschte auch im Fußball die Angst davor, dass Fremdes die eigene Kultur und Identität gefährdete. Das Verbot, das nicht selten durch Einbürgerungen umgangen wurde (prominente Beispiele sind Ferenc Puskás und Alfredo di Stéfano), hatte bis 1973 Bestand und sollte zudem zu einer Stärkung der Nationalmannschaft führen. Allerdings dauerte es elf Jahre, bis sich, trotz der Dominanz von Real Madrid auf europäischer Klub-Ebene mit sechs Europapokal-Titeln zwischen 1956 und 1966, der Erfolg einstellte. Im Finale der Europameisterschaft 1964 war Spanien der Gastgeber, und Franco konnte als solcher der Sowjetunion nicht wie vier Jahre zuvor aus dem Weg gehen. Erst recht nicht im großen Finale im Estadio Santiago Bernabéu. Durch den Sieg der Spanier über die verfeindeten Kommunisten wurde das Turnier für die Faschisten ein großer Propaganda-Coup. „Unsere Einheit und unser Patriotismus sind vor Millionen von Menschen, die das Spiel auf der ganzen Welt verfolgt haben, unter Beweis gestellt worden“, wurde Franco am Tag nach dem Spiel zitiert.

So präsentierte sich Spanien auf dem FIFA-Kongress 1966 als strahlender Europameister, der zudem zugunsten der Engländer bereits seine Kandidatur für die WM 1966 zurückgezogen hatte. Spanien und Deutschland hatten sich für die Jahre 1974 und 1982 beworben. Während Spanien sich für 1974 zurückzog und somit den Heim-Triumph der Deutschen ermöglichte, tat Deutschland Gleiches für Spanien und ermöglichte dem Franco-Regime die WM 1982, bei der letztendlich die Italiener triumphieren sollten. Während die WM 1978 in Argentinien noch heute als hochumstritten gilt, spielte die Geschichte der FIFA für das Jahr 1982 in die Karten. Was unter den Franco-Faschisten als Wiederholung des Propaganda-Triumphes von 1964 eingeplant war, wurde zum Fußballfest einer jungen Demokratie.

Dirk Segbers