„Kick for one World … but kick Daimler“ & “Star of Apartheid” (2010)

Die erstmalige Austragung einer Fußball-Weltmeisterschaft auf dem afrikanischen Kontinent wurde von allen Seiten begrüßt. Nach dem Ende der legitimierten, rassistisch-kapitalistischen Apartheid im Jahr 1994 sahen viele in der 2010er-WM die weitere Chance für ein „Nation Building“ durch ein internationales Sportevent; ähnliches war 1995 bereits mit der Rugby-WM für eine gewisse Zeit erreicht worde. Daher war die kritische Begleitung der Fußball-WM in der früheren Anti-Apartheid-Szene und bei Südafrikaner*innen nicht unumstritten. Gleichzeitig waren es aber auch das sozioökonomische und politische Erbe der Apartheid, die zur kritischen Begleitung der Meisterschaft aufforderte. Zwei internationale Kampagnen, getragen von südafrikanischen und deutschen zivilgesellschaftlichen Organisationen, gründeten sich im Vorfeld der WM.

„Kick for one World“ griff die Regularien der FIFA auf und an. Frühzeitung wurden die Anforderungen an große, erst noch zu bauende Stadien kritisiert. Denn es war absehbar, dass deren Kapazitäten nach der WM nie wieder in vollem Umfang benötigt werden. Nicht nur die Investitionen, auch die Folgekosten für die infrastrukturellen Maßnahmen im Zusammenhang mit dem Fußballgroßereignis trug vornehmlich der südafrikanische Staat. Während die FIFA ihre bis dahin profitabelste WM ausrichtete und Sepp Blatter sich zum Satz hinreißen ließ, er wäre danach „der glücklichste Mann der Welt“, blieb Südafrika auf einem Verlust von circa 2,7 Milliarden Dollar sitzen. Gelder, die damit – etwa für soziale Belange – für immer verloren waren.

Ein südafrikanischer Träger der „Kick for one World“-Kampagne war die NGO Streetnet aus Durban. Die Selbstorganisation (informeller) Straßenhändler*innen kritisierte den Ausschluss ihrer Mitglieder durch den von der FIFA festgelegten Bannkreis um die Stadien sowie das Verkaufsverbot von Nachahmerprodukten lizenzierter FIFA-Produkte. Aus Sicht von Streetnet waren die Armen in den Städten die Verlierer der WM – sowohl als Verkäufer*innen als auch als Fußballbegeisterte, denn gerade einmal zwei Prozent der Tickets für das Turnier konnten von Südafrikaner*innen erworben werden. Forderungen nach kostenlosen Public-Viewing-Möglichkeiten für die heimische Bevölkerung wurde seitens der FIFA ignoriert.

Die Kampagne griff aber auch oftmals vermittelte „Afrikabilder“ auf und an, kritisierte die Berichterstattung einiger/etlicher/vieler? deutscher Medien im Vorfeld, die sich intensiv um unzureichende Infrastruktur und vor allem um Kriminalität und vermeintliche Unsicherheit im Land drehte. Es waren dieselben Medien, die im Vorfeld der Fußball-WM in Deutschland 2006 mit Vehemenz gegen „angebliche No-go-areas“ aussprachen, um vor potentiellen rassistischen Übergriffe zu warnen. Jetzt aber wurde erwartete Gewalt und Kriminalität das beherrschende Thema.

Eine zweite Kampagne – „Star of Apartheid“ – griff ein weiteres Erbe der Apartheid mit besonderem Bezug zu Deutschland auf. Bereits 2002 hatten südafrikanische Aktivist*innen, unter ihnen die Khulumani Support Group, vor einem New Yorker Gericht 23 Unternehmen – darunter der Rüstungskonzern Rheinmetall und die DaimlerChrysler AG – wegen Beihilfe für Menschenrechtsverletzungen während der Apartheid verklagt. Der deutsche Autobauer, so die Kläger, habe etwa der südafrikanischen Armee und Polizei Nutzfahrzeugen samt Komponenten geliefert, die im Fortgang zur Niederschlagung politischer Proteste eingesetzt wurden. Diese Geschäftsbeziehung hatte auch nach dem Jahr 1966 Bestand, als die UN-Vollversammlung die Apartheid als „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ bezeichnet hatte. 

Zur WM 2010 in Südafrika – das Verfahren war zu diesem Zeitpunkt schwebend, die Klage wurde erst 2013 als nicht ausreichend begründet abgewiesen – war Daimler sogenannter Generalsponsor der deutschen Nationalelf. Auf ihren Trainingsanzügen trug „die Mannschaft“ den Mercedes-Stern. Insbesondere für die südafrikanische Organisation Khulumani und den Trägerkreis, bestehend aus den NGOs medico-international, KASA, KOSA und SODI, ein inakzeptabler Zustand. Ihre Forderungen an Daimler zielten auf eine Anerkennung des in Südafrika begangenen Unrechts, Entschädigungszahlungen sowie das Öffnen der Archive für eine unabhängige Aufarbeitung dieses Teils der Unternehmensgeschichte. Eine Vielzahl von Aktivitäten wurden durchgeführt: von eigens produzierten Liedern, über Mobi-Videos für Flashmobs, eine Unterschriftenaktion bis hin zum Verschicken von Briefen an Daimler und den damaligen DFB-Präsidenten Theo Zwanziger. Deren Antworten waren Inbegriffe des Verdrängens, Leugnens und Bagatellisierens. Bis heute hat sich der inzwischen als Daimler AG firmierende Konzern nicht mit diesem Teil seiner Geschichte auseinandergesetzt.

„Kick for one World“ reloaded (2014)

Die Kampagne „Kick for one World“ fand bei der WM in Brasilien ihre Fortführung. Dabei spielte vor allem der dortige Gewerkschaftsdachverband CUT eine wichtige Rolle in der Mobilisierung. Von Deutschland aus beteiligte sich insbesondere das Netzwerk Koordination Brasilien (KoBra). Sie kritisierten die fehlende Einbeziehung zivilgesellschaftlicher Gruppen und Gewerkschaften.

Bereits früh hatte sich in Brasilien sich ähnliche Entwicklungen wie in Südafrika abgezeichnet, insbesondere was die Auflagen der FIFA bezüglich Sponsorenverträgen sowie die aufwändigen Neu- und Umbauten von Stadien betraf. Als drei Jahre vor der WM erste Berichte von Zwangsräumungen in den WM-Spielstädten Rio de Janeiro, São Paulo und Porto Alegre zunahmen, rief das Proteste hervor: Breite zivilgesellschaftliche Bündnisse aus „Recht-auf-Stadt“-Aktivist*innen, Favela-Bewohner*innen und anderen NGOs kämpften gegen diese Vertreibungen; nach ihren Angaben waren insgesamt 250.000 Menschen in Brasilien von Zwangsräumungen für WM-Stadien und -Infrastruktur betroffen.

Im April 2011 starteten Gewerkschaften die Kampagne „fair games fair play“, die sich für menschenwürdige Arbeitsbedingungen einsetzte. Eine Vielzahl von Streiks wurde durchgeführt, viele durchaus mit Erfolg bezüglich der Abgeltung von Überstunden oder Lohnerhöhungen. Die Verdrängung von Straßenhändler*innen trat  auch in Brasilien wieder auf. Doch anders als zuvor in Südfarika gelang es (inter)nationalen Kampagnen, die FIFA zu Zugeständnissen zu bewegen: So konnten 4.000 Straßenhändler*innen in den von der FIFA ausgewiesenen Sperrzonen verkaufen, ein sehr kleiner Tropfen auf den heißen Stein.

Stattdessen verbuchte die FIFA erneut Rekordumsätze, der brasilianische Staat blieb überwiegend auf den Kosten sitzen, jegliche sozio-ökonomische Effekte waren maximal nur kurzfristig und politische Handlungsräume wurden eingeschränkt.

 
Andreas Bohne

Bei diesem Text handelt es sich um die leicht überarbeitete Fassung eines Beitrags aus dem Buch „Boykottiert Katar 2022! – Warum wir die FIFA stoppen müssen“, 2021 erschienen im Verlag Die Werkstatt.