WM 2018 – DAS TURNIER DES AUTOKRATEN
Als bei der Ehrung des 21. Fußball-Weltmeisters ein kräftiger Schauer über das Moskauer Luschniki-Stadion niederging, konnte man für einen Moment glauben, der enttäuschte Fußballgott sei in Tränen ausgebrochen. Nur einer blieb dabei trocken: Russlands Herrscher Waldimir Putin, dessen Bodyguards rechtzeitig mit einem Schirm zur Stelle waren. Aber dem Hausherrn war es bei dem Turnier ohnehin nicht um Fußball gegangen, sondern darum, die Vorzüge eines autoritär regierten und kulturell extrem konservativen Staates gegenüber den seiner Meinung nach verweichlichten, liberalen Gesellschaften des Westens zu demonstrieren. Dass es diesen an „richtigen Männern“ mangelt, hatten russische Hooligans mit einem Blitzbesuch bei der EM 2016 in Frankreich demonstriert: Durchtrainierte junge Kampfsportler hatten englische Bierbäuche in die Flucht geschlagen. Die einer paramilitärischen Einheit ähnelnden Gewalttäter genossen die Unterstützung zumindest von Teilen der russischen Politik und des dortigen Fußballverbands. „Ich kann nichts Schlimmes an kämpfenden Fans finden. Im Gegenteil, gut gemacht, Jungs!“, sagte etwa Igor Lebedew, stellvertretender Präsident des russischen Parlaments und Mitglied im Vorstand des Fußballverbands.
Infantino klebt „wie Kaugummi an Potentaten
Gianni Infantino, den neuen FIFA-Boss, schien lediglich zu interessieren, dass Putin und Co. ihm ein perfekt organisiertes Turnier versprochen hatten – ohne Ausschreitungen von Hooligans. Die Süddeutsche Zeitungschrieb, Infantino klebe „wie ein Kaugummi an Potentaten“. Für die prekäre Menschenrechtslage in Russland interessierte sich der oberste aller Fußballfunktionäre kein bisschen.
Die WM 2018 reflektierte paradigmatisch die Zunahme von Nationalismus und Rassismus. So waren in Dänemark schon vor dem Turnierstart die farbigen Nationalspieler Martin Braithwaite, Yussuf Poulsen, Matthias Jörgensen und Pione Sisto rassistisch beleidigt worden. In Schweden wurde der Spieler Jimmy Durmaz in den sozialen Netzwerken mit rassistischen Schmähungen und Morddrohungen überschüttet, nachdem der auch im Besitz eines türkischen Passes befindliche Mittelfeldspieler in der Vorrundenpartie gegen Deutschland einen Freistoß verschuldet hatte, den Toni Kroos zum Siegtreffer für die DFB-Elf versenkte. Die schwedische Nationalmannschaft stellte sich in einem YouTube-Video geschlossen hinter Durmaz und skandierte: „Fuck Racism!“
Ganz anders die DFB-Elf. Nachdem die türkisch-stämmigen Nationalspieler Mesut Özil und Ikay Gündogan im Anschluss an eine Fotosession mit dem türkischen Autokraten Recep Erdogan vor Turnierbeginn öffentlich rassistisch attackiert worden waren, blieb eine kollektive Solidaritätsbekundung ihrer deutschen Mannschaftskollegen aus. Kroatiens Spieler wiederum feierten ihre Siege[BB1] in der Kabine mit dem Gruß der Ustascha-Faschisten und dem Song „Bojna Cavoglave“ der rechtsextremistischen Rockmusikers Thompson. In der Schweiz entflammte einmal mehr die Diskussion über den „ethnischen Charakter“ der Nationalelf: Zwei Drittel des eidgenössischen Kaders waren Kinder von Einwanderern, überwiegend aus der Balkanregion, die nun zur Zielscheibe von Vorurteilen und Hass wurden.
„Nos différences nous unissent“
Wie es anders geht, zeigte Weltmeister Frankreich, das wie schon beim Turniersieg 1998 vom multi-ethnischen Charakter seiner Nationalmannschaft profitierte: Die Eltern von Paul Pogba, N’Golo Kanté und Blaise Matudi stammen aus Guinea, Mali und Angola, der Vater des Jungstars Kylian Mbappé war aus Kamerun eingewandert, Samuel Umtiti wurde noch in Kamerun geboren. Auf der Innenseite der französischen Trikots stand: „Nos différences nous unissent“ („Unsere Unterschiede einigen uns“).
Auch Gianni Infantino verließ Russland mit einer Medaille. Nach der WM verlieh ihm sein Freund Wladimir Putin für seinen „enormen Beitrag zur Organisation der Fußball-WM 2018" den „Orden der Freundschaft“. Infantino bedankte sich artig: „Ich möchte mich bei Ihnen, sehr geehrter Präsident, und bei allen Menschen in Russland bedanken und Ihnen gratulieren, dass Sie die beste Weltmeisterschaft aller Zeiten ausgerichtet haben.“
Dietrich Schulze-Marmeling
Bei diesem Text handelt es sich um die leicht überarbeitete Fassung eines Beitrags aus dem Buch „Boykottiert Katar 2022! – Warum wir die FIFA stoppen müssen“, 2021 erschienen im Verlag Die Werkstatt.