Sig Zelt von der Fangruppe Eiserner V.I.R.U.S. konnte kürzlich im Programmheft des 1. FC Union Berlin (Nr. 10/2014-25) den folgenden Text veröffentlichen:
WM-Vergabe spaltet die Fußballwelt
FIFA vergibt die WM 2034 an Saudi-Arabien
Wie bekannt, hat die FIFA im Dezember die Vergabe ihrer Weltmeisterschaften 2030 und 2034 beschlossen. So sehr der Weltverband Einmütigkeit zelebriert, so gespalten ist in Wahrheit die Fußballwelt, vor allem hinsichtlich des Ausrichterlandes Saudi-Arabien. Gerade in Europa sehen es viele Menschen kritisch und natürlich werden Erinnerungen an Katar 2022 wach.
Dabei gibt es durchaus Argumente, die Entscheidung positiv zu sehen. Zwar steht der Staat Saudi-Arabien immer wieder wegen Menschenrechtsverletzungen in der Kritik, und zweifellos will die autoritäre Herrscherfamilie die weltweite Aufmerksamkeit für das Turnier neben dem wirtschaftlichen Effekt zur Imagepflege nutzen. Man nennt es auch Sportswashing. Doch wir erinnern uns, wie es in der DDR war. Auch da gab es ranghohe Sportereignisse und Gastspiele von Künstlern aus dem Westen, mit denen die politische Führung Weltoffenheit und internationale Anerkennung demonstrierte. Und doch hatten diese Events eine zweite Seite. Sie stärkten den Blick darauf, dass es noch mehr auf der Welt gab als die DDR und den Ostblock. Sie befeuerten den Wunsch dazugehören zu wollen, zur internationalen Gemeinschaft, und wahre Anerkennung zu erfahren. Letztendlich wirkten diese Ereignisse als eine Kraft, die die Menschen emotional mit anderen Ländern, mit anderen Völkern einte und zugleich die Unzulänglichkeiten im eigenen Lande vergegenwärtigte.
Der Sport kann eine völkerverbindende und den Frieden stärkende Rolle spielen. Gerade solche weithin beachteten Ereignisse wie eine Fußball-WM können einen aktivierenden Einfluss auf die Menschen in Ländern haben, wo die Realität weit von Demokratie und Freiheit entfernt ist. Das kann durchaus auch ganz konkrete Wirkungen haben, wie in Katar, wo es dank der WM gewisse Verbesserungen der Regularien für die Wanderarbeiter gab.
Immerhin hat der Fußball in Saudi-Arabien, Im Unterschied zu Katar, durchaus eine Tradition. Diese ist gewiss nicht so stark wie etwa in Ägypten oder im Iran, aber sie ist nicht zu leugnen.
Dem allem steht der zu erwartende Reputationsgewinn für das nach westlichem Maßstab fragwürdige politische Regime entgegen, vor allem aber auch, dass die Weltmeisterschaft, wie auch schon jene in Katar, kalkulierter Weise mit Menschenopfern verbunden sein wird – kalkulierter Weise deshalb, weil die durch den politischen Rahmen gesetzten Arbeitsbedingungen der Migranten, die mehrheitlich für den Bau und Betrieb der Sportstätten und Infrastruktur sorgen, derart mangelhaft sind, dass sie systematisch zu Todesfällen führen: extrem lange Arbeitszeiten in brütender Hitze, menschenunwürdige Unterkünfte und Entzug der Pässe, so dass eine Rückkehr in die Heimat ohne Einverständnis der Arbeitgeber unmöglich ist. Wissenschaftler wie Dr. Sebastian Soms aus Bonn halten es für eine naive Hoffnung, dass sich durch den Einfluss der FIFA an den Bedingungen für die Arbeiter und an der Menschenrechtslage in Saudi-Arabien etwas verbessern würde.
Ein Exklusivbericht der „Daily Mail“ vom 24. 10. 2024 enthüllte ein schockierendes Rechercheergebnis: 21.000 Tote in acht Jahren, im Zusammenhang mit dem Bau der Hightech-Stadt „The Line“, die bis 2030 in den Wüstensand gestellt wird, wo auch das größte WM-Stadion entstehen soll. Offizielle Todesursachen sind oft „Herzstillstand“ oder „Atemversagen“. Dabei muss man sehen, dass es sich fast ausschließlich um relativ junge Menschen handelt, die mit nachweislich gutem Gesundheitszustand ins Land kamen.
Viele Fußballfreunde können keine Freude daran empfinden, sich Spiele anzusehen, für die, für das Vergnügen der Zuschauer, Menschenopfer bewusst in Kauf genommen werden. So propagiert die deutsche Faninitiative „Fairness United“: „No to Saudi Arabia 2034“. Ein Offener Brief an DFB-Präsident Neuendorf (siehe: www.fairness-united.org), u.a. vom Eisernen VIRUS unterzeichnet, blieb freilich ohne adäquate Wirkung auf den Verband. Das führt zu einen weiteren großen Kritikpunkt an der Turniervergabe: das unwürdige Geschacher der FIFA.
Wollte die FIFA sich nicht einen neuen, seriösen und demokratischen Anstrich geben? Genau das Gegenteil ist der Fall; und es gibt sehr viel Unverständnis darüber, dass sich der DFB an diesem abgekarteten Spiel beteiligt. Alles an dem Vergabeprozess wurde so konstruiert, dass kein anderes Land die WM 2034 erhalten konnte.
Schon der Austragungsmodus der WM 2030 spielt dem in die Karten. Zweieinhalb Jahre nach der Bekanntgabe der Bewerbung Spaniens und Portugals wurde Marokko als drittes Gastgeberland präsentiert. Ein weiteres halbes Jahr später empfahl der FIFA-Rat, wegen des 100-jährigen Jubiläums die Gastgeberschaft auf Uruguay, Argentinien und Paraguay auszudehnen, wo jeweils ein einziges Spiel stattfinden soll. Durch dieses unorthodoxe, aber einem klar erkennbaren Plan folgende Vorgehen schieden nach den FIFA-Regeln alle Kontinente bis auf Asien/Australien/Ozeanien für die Gastgeberschaft 2034 aus. Nachdem im Herbst 2023 der einzige Mitkonkurrent Australien aufgab, blieb Saudi-Arabien einziger Bewerber. Als ob das noch nicht reichte, verkürzte die FIFA später die Einreichungsfrist für die Bewerbungsunterlagen so, dass nur wenige Tage verblieben.
Den traurigen Abschluss bildete der FIFA-Entscheid am 11. Dezember 2024, der in einer Videokonferenz getroffen wurde. Es gab keine Abstimmung, schon gar keine geheime, sondern der Beschluss wurde „per Akklamation“ gefasst, und es war zudem ein Doppelbeschluss: Ein Widerspruch gegen Saudi-Arabien wäre zugleich eine Stimme gegen Spanien und Portugal gewesen. Dazu hatte die FIFA kurz zuvor eigens ihre Statuten, die nach dem FIFA-Skandal 2015 derartige Doppelvergaben verboten hatten, wieder geändert. Nur der norwegische Verband protestierte gegen das Verfahren, während der DFB sich im willfährigen Gefolge von FIFA-Boss Gianni Infantino wohlfühlt, dem sämtliche Standards von Ethik und Correctness egal zu sein scheinen, einzig, um dem Ruf des Geldes zu folgen.
Sig Zelt, Eiserner V.I.R.U.S.