„Trumps Werte sind total faschistisch“
Interview mit Andrei S. Markovits zur politischen Entwicklung und der WM 2026 in den USA
Andrei Markovits, Jahrgang 1948, ist ein prominenter US-amerikanischer Politikwissenschaftler mit jüdisch-europäischen Wurzeln. Er lehrte an mehreren Universitäten in den USA und in Deutschland, zuletzt an der University of Michigan, und erhielt verschiedene Wissenschaftspreise sowie das Bundesverdienstkreuz 1. Klasse. 2023 ernannte die Uni Dortmund den großen „Soccer“-Fan zum „Fußball-Professor“.
Zunächst die Frage: Wie schätzt du die gegenwärtige Entwicklung in den USA ein? Was müssen wir bis zum Turnierbeginn, also in den kommenden 13 bis 14 Monaten noch erwarten? Wird das Turnier im Sommer 2026 in einem Land angepfiffen, das nicht mehr länger eine liberale Demokratie ist, sondern eine Autokratie oder Oligarchie?
Andy: Das Wort „Oligarchie“ wird total missbraucht. Jede moderne Organisation ist eine Oligarchie, weil sie von einer kleinen Zahl von Leuten geleitet wird. Liberale Demokratien sind auch Oligarchien. Robert Michels hat in seiner bahnbrechenden Studie von vor circa 110 Jahren richtig festgestellt, dass JEDE Art des Regierens in der modernen Welt oligarchisch ist. Siemens ist oligarchisch, die Unversity of Michigan ist oligarchisch, auch jeder deutsche Bundesliga Verein ist oligarchisch, auch wenn sich die Deutschen so sehr auf die vermeintliche Demokratie ihres Fanseins im Fußball berufen und einbilden.
Oligarchie ist ein Modus der organisatorischen Existenz, nichts Weiteres.
Ich würde sogar weitergehen und mit Michels und anderen argumentieren, dass je mehr Demokratie man hat, desto mehr man oligarchische Organisationsformierungen braucht um die Anzahl der legitim vertretenenen Menschen zu erfassen und effektiv ihre Wünsche zur Geltung zu bringen.
Autokratie ist was total Anderes. Das ist das Gegenteil einer liberalen Demokratie. Autokratie ist ein Inhalt, während Oligarchie ein Modus ist.
Und wir in den USA sind auf dem Wege zu einer Autokratie. Wir sind noch nicht dort, aber auf dem Weg. Ganz, ganz schlimm! Ich hätte mir niemals gedacht, dass ich Zeuge einer Entwicklung würde, die dabei ist, 249 Jahre Demokratie (egal mit welch eklatanten Fehlern und Mängeln) systematisch zu demontieren. Ich bin noch immer ziemlich sicher, dass es letztendlich zu keiner vollen Autokratie, geschweige denn zu einem vollen Faschismus, bei uns kommen wird, aber der bereits eingeschrittene Weg ist übel genug!
Bei uns wird kontrovers diskutiert, ob man Trump als Faschisten bezeichnen kann, wie es etwa Jason Stanley tut. Laut Stanley befinden sich die USA in einer „faschistischen Dynamik“. Diese sei schon sehr weit fortgeschritten. Stanley: „Die Kultur der Lüge, die Dämonisierung von Gegnern, das Verbot von Komplexität, die Rückkehr der völkischen Rhetorik, der Angriff auf autonome Institutionen – all das ist da.“ Wie siehst du diese Diskussion?
Andy: Stanley hat vollkommen recht mit seiner Feststellung. Ich würde Donald Trumps Werte als total faschistisch bezeichnen. Er liebt nur Stärke, hasst Schwäche, ergötzt sich an Macht, liebt das Pompöse, ist rachsüchtig, fordert von allen Beamten und Untergebenen hundertprozentige Loyalität, deren eventuelle Abweichung er streng bestraft. Durch und durch ein Diktator von Kopf bis Fuß. Wenn man sich die Unterwürfigkeit seiner Kabinettsmitglieder in ihrer Lobhudelei auf Trump anhört, wird einem schlecht, oder man muss in einen Lachkrampf ausbrechen! Ob das heutige Phänomen Trumpismus faschistich ist, mag ich zu bezweifeln, da es noch wichtige oppositionelle Einrichtungen und Bewegungen gibt. Aber, dass Trump in seinem Idealfall ein System haben wollte, das faschistisch wäre, ist ohne Zweifel richtig.
Auf was muss sich der zur WM in die USA einreisende Fan einstellen? (beispielsweise: Abweisung bei der Einreise etc.)
Andy: Das weiß ich nicht! Ich bin mir aber sicher, dass die Fans europäischer Mannschaften keine große Sorgen haben werden, in die USA zu fahren und sich hier wohlzufühlen.
Oliver Bierhoff, Ex-Manager der deutschen Nationalelf, begrüßte die Wahl von Donald Trump. Bierhoff: „Ich bin sicher, dass sich Trump und Amerika als Top-Sportnation bei der WM 2026 und Olympia 2028, aber auch schon bei der Klub-WM im nächsten Jahr darstellen wollen und werden.“ Trump werde „die großen internationalen Sportbühnen, auf die die ganze Welt schauen wird, für die USA und sich persönlich nutzen wollen. Insofern sind das gute Voraussetzungen für die Großevents.“ Dieser Logik folgend sind größenwahnsinnige Staatsmänner ideale Veranstalter von großen Sportevents.
Auch Infantino ist begeisterter Trumpist.
Gibt es so etwas wie eine Seelenverwandtschaft zwischen Funktionären großer Sportorganisationen und Autokraten/Oligarchen/Diktatoren? Muss man vielleicht sogar sagen, dass internationale Sportorganisationen wie die FIFA oder das IOC antidemokratische Entwicklungen fördern, bis hin zum Faschismus? Schließlich hat Infantino etwas geschafft, wovon Trump träumt: jegliche Opposition gefügig zu machen.
Andy: Siehe meine Ausführungen zur Oligarchie. Ich hatte keine Ahnung, dass Oliver Bierhoff Trump begrüßte, aber wundern tut es mich überhaupt nicht. Und es wundert mich auch nicht, dass Infantino ein Trump-Anhänger ist. Leiter solcher Organisationen – Oligarchen eben, per definitionem – lieben Seelenverwandte, die auch gerne so ungehindert als nur möglich regieren wollen. Man will als CEO, egal welcher großen Organisation, so wenig Opposition als nur möglich in seiner Handlungstätigkeit haben und so viel Willkür in seiner Macht ausüben als irgendwie machbar. Das ist eben die Logik jeglicher oligarchischen Struktur. Da muss man kein besonders übler Mensch sein, da muss man keine faschistischen Werte der Machtgeilheit und der Anhimmelung der Stärke haben, man muss da kein schlechter Mensch sein, um Affinitäten mit anderen Organisationsmächtigen zu haben.
Bitte vorsichtig sein mit FIFA und IOC und Förderung von Faschismus! Die wollen einen so problemlosen Ablauf ihrer Show haben, als nur möglich! Eben einer Show! Mit null Gegenstimmen, mit null Einwänden, mit null Problemen. Das garantieren eben Diktaturen wie Russland und Katar und Nazi-Deutschland besser und leichter als liberale Demokratien. Aber das heißt nicht, dass IOC und FIFA faschistisch sind! Wenn Kamala Harris Präsidentin wäre, wäre Infantino genauso happy und bedacht, eine großartige Show abzuziehen. Diese Organisationen brauchen Ordnung und so wenig Gegenwind als nur möglich. Das macht sie per definitionem autoritär, aber nicht faschistisch!
Trump ist nicht Hitler – trotzdem werden hier Vergleiche mit den Olympischen Spielen von 1936 gezogen: Ein sportliches Event als politische Propagandashow. Wie legitim ist ein solcher Vergleich?
Andy: Bitte, bitte aufhören mit den dauernden Hitler-Vergleichen! Und mit den Olympischen Spielen 1936! Jede Fußball-WM oder Cricket-WM oder Rugby -WM oder Olympiade ist eine Propaganda-Show! Bitte immer daran denken, dass die Fußball- WM 2026 genauso geplant und gebaut würde, hätte Kamala Harris das Weiße Haus bewohnt. Trump und die Lage sind schlimm genug, bar solcher Analogien und Vergleiche!
Für Trump ist der Sport eine Arena, um auch dort den Kulturkampf auszutragen. Trump ist kein Fußballfan, erscheint mit dem Spiel eher zu fremdeln. Als jemand, der sich in allen Spielen: Football, Baseball, Soccer, Rugby, Basketball etc. bestens auskennt, frage ich dich: In welchem Ausmaß lässt sich der „europäische“ Soccer in den Trump‘schen Kulturkampf einbetten? Oder ist es egal, welches Spiel es ist?
Andy: Das ist eine sehr interessante Frage, zu der ich Folgendes sehr hypothetisch sagen möchte, da ich einfach die Dinge vor Ort nicht kenne: Da Trump der Volkstribun von JOE SIXPACK ist, also von dem ihn anhimmelnden männlichen weißen Arbeiter, der für „soccer“ nichts übrig hat, außer einer totalen Verachtung als ein „Sissysport“ für Frauen und Schwule und Fremde, würde man meinen, dass – wie du mit deiner Frage annimmst – Trump da ein Leckerbissen in seinem Kulturkampf gegen Eliten und Kosmopoliten und eben gegen alle, die er verachtet und hasst, auf ein Tablett geliefert bekommt.
Aber, Trump ist auch ein absolut brillanter Showman und er weiß, oder besser gesagt, er spürt, welch eine Show die Fußball-WM ist. Die will er nicht runtermachen, weil er weiß, dass er dies nicht kann. Deswegen glaube ich nicht, dass er den europäischen „soccer“ gegen die für ihn einzig echten Sportarten des Football, Basketball, Baseball und Hockey ins Spiel bringen wird. Und sein Machotum hat er für Joe Sixpack schon wiederholt mit seiner Liebe zu MMA und der WWE voll demonstriert, in dem er bei diesem sogar in den Ring stieg und bei jenem des Öfteren im Publikum, auch als Präsident, erschien. Mit Linda McMahon, der Mitbesitzerin und Gründerin von WWE, sitzt sogar eine wichtige Repraesentantin dieser Welt als Bildungsministerin in seinem Kabinet.
Die USA sind nicht alleiniger Ausrichter des Turniers, auch wenn Trump manchmal so tut. Welchen Einfluss wird die Entwicklung des Verhältnisses zu Mexiko und Kanada auf das Turnier nehmen?
Andy: Ich glaube nicht, dass es zu irgendwelchen spürbaren negativen Maßnahmen mit Kanada und Mexiko während des Turniers kommen wird. Da gab es nichts während der Nations Cup im Fußball vor ein paar Wochen in Los Angeles und es gab auch nichts bei dem Four Nation Turnier der NHL davor, außer dem Ausbuhen der amerikanischen Hymne im Bell Centre in Montreal beim Spiel Kanada gegen USA. Drei Tage später in Boston, wurde dann beim Retourspiel die kanadische Hymne ausgebuht, aber in einer geringeren Lautstärke als davor in Montreal.
Nehmen wir mal an, du müsstest den DFB bezüglich des Turniers briefen und im Umgang mit Trump, der gegenwärtigen Entwicklung in den USA, dem Turnier beraten? Was würdest du dem Verband empfehlen?
Andy: Das ist wohl ein Witz als Frage! Ich bräuchte zwei Stunden, um in die gegenwärtige Lage in den USA einzuführen, geschweige denn zu erklären. Und sie hat auch für den DFB null Bedeutung!
Auch Trump hat für den DFB keine Bedeutung, sorry! Wie gesagt: Der DFB würde – oder sollte – sich genauso verhalten, wäre Frau Harris Präsidentin! Es kommen deutsche Fußballer zu dem wichtigsten Turnier ihres Metiers, das dieses Mal zufällig auch in den USA ausgetragen wird, nach Nordamerika. Es sind nicht deutsche Sozialwissenschaftler, die zu einer Tagung und/oder zur Erforschung der Politik der USA hierher kommen.
Gibt es angesichts der Tatsache, dass Trump die WM für seine MAGA-Propaganda nutzen will, für den fußballbegeisterten US-Bürger Andy Markovits überhaupt noch Raum für Freude auf das Turnier?
Andy: Voll und ganz von wegen Freude! Das sind zwei Paar völlig andere Schuhe, um bei dem Fuß zu bleiben. Im Gegenteil: Seit Trump wurde der Sport für mich mein einziger Ort der Rettung vor diesem Irrsin, den Trump tagtäglich uns vorführt. Ich schaue nur ESPN, bin TOTAL in der Welt der NBA, der MLB, der NHL verkrochen und finde da meine Muße und Ruhe und Freude und auch gleichgesinnte Freunde. Die Premier League würde mir auch noch so einen Zufluchtsort gönnen, wäre mein geliebtes Man United nicht so erbärmlich schlecht. Ich freue mich total auf die Fußball-WM 2026, die wohl eine der allerletzten meines Lebens sein wird und der ich, wie schon ihren Vorgängern 1966, 1974, 1982, 1990, 1994 und 2006 persönlich beiwohnen werde!