WM und Politik
Sportliche Großereignisse bringen es mit sich, dass die Gastgeber sich positiv präsentieren wollen – draußen in der Welt, aber auch beim eigenen Volk. Diese Präsentation muss nicht zwangsläufig unangenehm sein. Als Barcelona die Olympischen Sommerspiele 1992 austrug, nutzten Stadt und Land die Gelegenheit, sich als modern, demokratisch und vom Franco-Faschismus (bzw. seinen Erben) befreit darzustellen. Es wurde ein wunderbares buntes Fest.
Leider gibt es aber allzu viele negative Beispiele, auch bei den Fußball-Weltmeisterschaften, die nicht selten in autoritär oder gar faschistisch geführten Staaten stattfanden. Gerade bei solchen Regimes ist der Wunsch nach einer positiven Außendarstellung besonders groß und die Bereitschaft, dafür der FIFA entgegenzukommen, besonders ausgeprägt. Den Preis zahlt die Bevölkerung, politisch zumeist in Form zusätzlicher Repressalien, finanziell in Form zusätzlicher staatlicher Ausgaben, die zu Lasten der Sozialaufgaben gehen.
Die WM-Geschichte lehrt: Konsequenzen für die Bevölkerung sind der FIFA egal, solange sie selbst ordentlich kassieren und dem Gastgeberland die eigenen Bedingungen diktieren kann. Dies erklärt ein gewisses Faible, das die FIFA für solche Regimes hegt. Einige Beispiele für diese politischen Aspekte der WM-Geschichte wollen wir an dieser Stelle in loser Folge vorstellen. Wir beginnen mit der WM-Endrunde 1934, die im faschistischen Italien stattfand. Argentinien 1978 wird in späteren Beiträgen eine Rolle spielen. Aber auch andere politische Begleitumstände, die während WM-Endrunden oder Qualifikationen evident wurden, werden berücksichtigt, wie beispielsweise Boykottaktionen gegen Israel.
Externe Beiträge und andere Anregungen zu dieser kleinen Serie nehmen wir gerne entgegen – schreibt uns eine Mail.
WM 1934 – Wie Mussolinis Fußballkrieger das Turnier gewannen
Dietrich Schulze-Marmeling
1932 beauftragte der in Stockholm tagende FIFA-Kongress Italien mit der Austragung des zweiten WM-Turniers. Anders als beim Turnierauftakt 1930 sollten die Spiele nicht mehr nur in einer Stadt stattfinden. Damals waren die 18 Spiele allesamt in Uruguays Hauptstadt Montevideo und in nur drei Stadien ausgetragen worden.
Neben Italien hatte sich zunächst auch Schweden für die WM 1934 beworben. Aber während Italien acht Städte als Spielorte präsentierte, wollten die Schweden nur in Stockholm ein neues Stadion errichten, in dem dann sämtliche Spiele stattfinden sollten.
Italien garantierte der FIFA aber nicht nur ein Mehr an Stadien, sondern auch finanzielle Sicherheit. Die Italiener versprachen, für den Fall eines finanziellen Debakels alle Ausstände zu übernehmen. Mitbewerber Schweden konnte da nicht mithalten und zog seine Kandidatur zurück ...
Sportboykotte gegen NS-Deutschland
Bernd Beyer
Das autoritär, wenn nicht diktatorisch regierte Katar ist mit Nazi-Deutschland nicht zu vergleichen. Wenn an dieser Stelle an wenig bekannte Boykott-Aktionen gegen Sportveranstaltungen der NS-Zeit erinnert wird, sollen keine simplen historischen Parallelen gezogen werden. Allerdings ist zu berücksichtigen: Die berechtigten Boykottforderungen vor den Olympischen Spielen 1936 richteten sich noch nicht gegen das Deutschland des Holocaust und der Kriegsverbrechen (das sich damals noch niemand vorstellen mochte), sondern „nur“ gegen eine rassistische, antisemitische Diktatur.
WM 1938 – „DAVID TELL“ GEGEN NAZI-DEUTSCHLAND
Bernd Beyer
Das Turnier in Paris, das im Juni 1938 stattfand – und damit 14 Monate vor Beginn des Zweiten Weltkriegs –, stand bereits ganz im Zeichen von Hitlers Expansionspolitik. Im spanischen Bürgerkrieg wirkte die deutsche Wehrmacht wesentlich daran mit, das Blatt zugunsten des diktatorischen Franco-Regimes zu wenden. In der Tschechoslowakei betrieb das Deutsche Reich die Annexion der Sudetenregion. Und im März, nur drei Monate vor dem WM-Anpfiff, besetzten Wehrmachts- und SS-Verbände Österreich, um den sog. „Anschluss“ des Landes als „Ostmark“ ans Deutsche Reich durchzusetzen.
Letzteres hatte unmittelbare Auswirkungen auf das WM-Turnier, da Österreich qualifiziert war, aber nach Auflösung des ÖFB nicht mehr als eigenständiger Verband teilnehmen konnte. Reichstrainer Sepp Herberger musste eine politisch genehme „großdeutsche“ Auswahl zusammenbasteln, um die internationale Stärke des österreichischen Fußballs zumindest dem Schein nach anzuerkennen ...
WM 1942 – Das Turnier, das die Nazis veranstalten wollten
Bernd Beyer
Bei den Olympischen Spielen 1936 sowie dem WM-Turnier von 1938 hatte die deutsche Nationalelf schmählich versagt. Doch das wog letztlich wenig gegenüber dem Propagandaerfolg, den die Nazis mit den Berliner Spielen insgesamt verbuchen konnten. Außerdem hatten sie schon bei der WM 1934 in Italien erlebt, wie wunderbar Faschistenführer Mussolini auch ein Fußballturnier für seine politischen Zwecke ausbeuten konnte. So wundert es nicht, dass die nationalsozialistische Sportführung darauf erpicht war, schon bald ein WM-Turnier ins Reich zu holen.
Die Vorzeichen dafür schienen widersprüchlich ...
Bild: FIFA-Generalsekretär Ivo Schricker
WM 1950 – In einer neuen Weltordnung
Bernd Beyer
Zweimal war das WM-Turnier wegen des Zweiten Weltkriegs ausgefallen – 1942 und 1946 –, doch nun sollte es wieder losgehen. Die Organisatoren sahen sich einer Weltordnung gegenüber, die sich infolge des Krieges grundlegend verändert hatte. Nicht mehr das Vormachtstreben faschistischer Regimes beherrschte die politische Landschaft, sondern der Ost-West-Konflikt. Alle osteuropäischen Staaten wurden nun „realsozialistisch“ regiert und zählten zur Einflusssphäre der Sowjetunion; zugleich waren die USA zur Weltmacht aufgestiegen ...
WM 1954 – WAS DEN UNGARN GESCHAH
Werner Skrentny
Die WM 1954 wird in Deutschland natürlich vor allem mit dem Stichwort „Wunder von Bern“ verbunden. Die sportlichen wie politischen Aspekte dieses „Wunders“, seine gesellschaftliche Bedeutung für die junge Bundesrepublik, ist Thema ganzer Berge von Publikationen. Das alles wollen wir an dieser Stelle nicht erneut ausbreiten, sondern uns in diesem Beitrag des Fußball-Historikers Werner Skrentny der gegnerischen Mannschaft widmen, den im Finale so überraschend unterlegenen Ungarn. Mit den Endrunden-Teilnehmern Tschechoslowakei (Aus nach der Vorrunde); Österreich (WM-Dritter) und eben Ungarn zeigten die alten Mächte des legendären „Donau-Fußballs“ noch einmal ihr Können. Die politischen Umbrüche brachten es mit sich, dass es zugleich ihr Abgesang war.
WM 1958 – Ein beleidigter Titelverteidiger
Bernd Beyer
Als sich „Hammer“ Juskowiak in der 59. Minute des Halbfinals gegen Gastgeber Schweden zu einem Revanchefoul an seinem Gegenspieler Kurt Hamrin hinreißen ließ und vom Platz flog, war für die bundesdeutsche Mannschaft die WM 1958 gelaufen. Sportlich, weil man anschließend zwei Gegentreffer kassierte und mit 1:3 den erhofften Finaleinzug verpasste. Und stimmungsmäßig, weil man sich in eine beträchtliche Empörung steigerte und dieses Gefühl mit nicht wenigen Deutschen zu Hause teilte.
WM 1962 UND 1966 – Afrika im Abseits
Bernd Beyer
Dass es heutzutage normal ist, dass eine Reihe afrikanischer Teams an den WM-Endrunden teilnehmen, ist einer Entwicklung geschuldet, die erst in den 1960er Jahren begann. Den Durchbruch brachte ein Boykott der WM 1966.
Fußball im Dienst der Versöhnung: Emanuel Schaffer
WM 1970 – Emanuel Schaffers langer Weg
Bernd Beyer
Die WM-Endrunde 1970, die vor 50 Jahren in Mexiko stattfand, war die erste bisher einzige, an der Israel teilnehmen konnte. Mitverantwortlich für die erfolgreiche Qualifikation war auch das Wirken ihres legendären Trainers Emanuel Schaffer.
WM 1974 und 2006 –
Schwarz-rot-goldene Gastgeber
Bernd Beyer
Die WM-Turniere 1974 und 2006 fanden in der Bundesrepublik Deutschland statt. Die politischen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen unterschieden sich bei diesen Turnieren gewaltig. Und auch vom Augenschein her war es komplett anders: Während es 1974 außerhalb der Stadien kaum größere Menschenansammlungen gab, bei denen die Begegnungen gemeinsam verfolgt wurden, schon gar nicht in Nationaltracht – den Begriff „Public Viewing“ gab es noch nicht –, so schien 2006 das ganze Land in schwarz-rot-goldene Feierlaune getaucht zu sein. Was steckt hinter diesen Unterschieden?
WM 1978 (I) – Buenas noches, Argentina
Michael Bolten
Bereits am 6. Juli 1966 erteilte die FIFA den Ländern Deutschland (1974), Argentinien (1978) und Spanien (1982) den jeweiligen Zuschlag zur Ausrichtung der Fußball-WM. Acht Tage vor dieser Entscheidung putschte sich das Militär in Argentinien an die Macht und setzte den gewählten Präsidenten Arturo Umberto Illia ab. Diese zeitliche Abfolge fand bislang so gut wie keine öffentliche Beachtung. Doch sie bedeutet, dass zu dem Zeitpunkt, als die WM-Ausrichter der Jahre 1974 bis 1982 festgelegt wurden, in zwei der drei auserwählten Länder eine Militärdiktatur herrschte. Das argentinische Militär hielt sich gut sieben Jahre an der Macht, bevor das Land nicht zuletzt aufgrund heftiger Proteste zur Demokratie zurückkehrte – vorübergehend.
WM 1978 (II) – Fußball, FIFA, Antisemitismus.
Die Geschichte des Schiedsrichters Abraham Klein
Dietrich Schulze-Marmeling
Bei der WM 1978 beeindruckte unter den eingesetzten Schiedsrichtern vor allem der Israeli Abraham Klein mit seiner souveränen Leistung. Dass er nicht das Finale leiten durfte, hat auch mit Antisemitismus zu tun.
Bild: Abraham Klein, Schiedsrichter aus Israel (worldreferee.com)
WM 1982 – Kein Fest für den Generalísmo
Dirk Segbers
Als 1982 die WM-Endrunde in Spanien stattfand, war das Land erfolgreich dabei, seine Vergangenheit als Diktatur endlich zu überwinden. Hat die FIFA mit ihrer Gastgeberwahl diesen Weg honoriert? Keineswegs ...
WM 1998 (I) – BLACK / BLANC / BEURRE??
Dietrich Schulze-Marmeling
Obwohl Gastgeber Frankreich Weltmeister wurde, kritisierte der französische Rassist und Rechtextremist Jean-Marie Le Pen die „rassische Zusammensetzung“ der L’Équipe Tricolor. Spieler wie Sabri Lamouchi, Zinédine Zidane, Youri Djorkaeff, Christian Karembeu und Bernard Lama wurden von Le Pen konsequent als „Ausländer“ bezeichnet, die die französische Nationalität nur gewählt hätten, um international Fußball spielen zu können ...
WM 1998 (II) – DIE BLUTTAT VON LENS
Bernd Beyer
Es passiert am 21. Juni 1998, einem Sonntag. Im Félix-Bollaert-Stadion von Lens, wird um 14.30 Uhr die Vorrundenpartie Deutschland gegen Jugoslawien angepfiffen; Lothar Matthäus bestreitet seine 22. WM-Partie und stellt damit einen Weltrekord auf. Doch das wird unwichtig sein am Ende des Tages ...
WM 2010 – ERSTE WM IN AFRIKA
Dietrich Schulze-Marmeling
Für die WM 2010, die nach dem inzwischen wieder suspendierten Rotationsprinzip auf jeden Fall in Afrika stattfinden sollte, hatten sich neben Südafrika zunächst noch die vier nordafrikanischen Länder Marokko, Ägypten, Tunesien und Libyen beworben. Tunesien und Libyen verabschiedeten sich vorzeitig aus dem Rennen. Als das 24-köpfige FIFA-Exekutivkomitee am 15. April 2004 in Zürich über das Austragungsland 2010 entschied, stimmten die vier Afrikaner im Gremium geschlossen gegen die Republik am Kap ...
WM 2010 und 2014 –
Die Kampagne „Kick for one World”
Andreas Bohne
Vorbereitung und Durchführung der WM-Turniere 2010 in Südafrika sowie 2014 in Brasilien waren von erheblichen sozialen und ökologischen Problemen verbunden. In beiden Fällen organisierten Initiativen den Protest dagegen.
WM 2018 – DAS TURNIER DES AUTOKRATEN
Dietrich Schulze-Marmeling
Als bei der Ehrung des 21. Fußball-Weltmeisters ein kräftiger Schauer über das Moskauer Luschniki-Stadion niederging, konnte man für einen Moment glauben, der enttäuschte Fußballgott sei in Tränen ausgebrochen. Nur einer blieb dabei trocken: Russlands Herrscher Waldimir Putin, dessen Bodyguards rechtzeitig mit einem Schirm zur Stelle waren. Aber dem Hausherrn war es bei dem Turnier ohnehin nicht um Fußball gegangen, sondern darum, die Vorzüge eines autoritär regierten und kulturell extrem konservativen Staates gegenüber den seiner Meinung nach verweichlichten, liberalen Gesellschaften des Westens zu demonstrieren ...
WM 1934 – Wie Mussolinis Fußballkrieger das Turnier gewannen
1932 beauftragte der in Stockholm tagende FIFA-Kongress Italien mit der Austragung des zweiten WM-Turniers. Anders als beim Turnierauftakt 1930 sollten die Spiele nicht mehr nur in einer Stadt stattfinden. Damals waren die 18 Spiele allesamt in Uruguays Hauptstadt Montevideo und in nur drei Stadien ausgetragen worden.
Neben Italien hatte sich zunächst auch Schweden für die WM 1934 beworben. Aber während Italien acht Städte als Spielorte präsentierte, wollten die Schweden nur in Stockholm ein neues Stadion errichten, in dem dann sämtliche Spiele stattfinden sollten.
Italien garantierte der FIFA aber nicht nur ein Mehr an Stadien, sondern auch finanzielle Sicherheit. Die Italiener versprachen, für den Fall eines finanziellen Debakels alle Ausstände zu übernehmen. Mitbewerber Schweden konnte da nicht mithalten und zog seine Kandidatur zurück.
Stadien als Monumente des Faschismus
Seit 1922 regierte in Italien der faschistische Diktator Benito Mussolini. Die Ausrichtung des Turniers sollte Italiens internationales Renomee polieren sowie Stärke und Überlegenheit des Faschismus gegenüber den demokratischen Systemen demonstrieren. Die Regierung investierte enorme Summen in die Turniervorbereitung. In Turin, Florenz, Neapel, Rom und Mailand entstanden neue Arenen, oder es wurden bereits existierende renoviert. In Rom wurde die Spielstätte nach der faschistischen Partei benannt (Stadio Nazionale del PNF – PNF = Partito Nazionale Fascista), in Turin nach dem Diktator (Stadio Municipale Benito Mussolini). Nicht nur in Italien, auch in Deutschland, Spanien und Portugal betrachteten die Diktaturen den Bau monomentaler Stadien als Instrument zur Förderung nationalistischer und faschistischer Empfindungen. Was für Mussolini das Stadion in Rom war, sollte später für Hitler das Berliner Olympiastadion, für Franco das Bernabéu-Stadion in Madrid und für Salazar das Estádio da Luz in Lissabon sein.
Italiens Argentinier
1926 hatte Italien den Profifußball legalisiert. Gleichzeitig wurde die Verpflichtung ausländischer Spieler verboten. Österreichische und ungarische Legionäre mussten nun das Land verlassen.
Kompensiert wurde der Verlust durch eine erste Welle interkontinentaler Spielertransfers. Die italienischen Top-Klubs schauten sich in Südamerika nach Nachfahren italienischer Emigranten um. Denn diese konnten die italienische Staatsbürgerschaft beanspruchen, die ihnen von den faschistischen Behörden auch bereitwillig gewährt wurde. Zumal wenn es sich um Fußballer handelte. Die Legionäre wurden als repatriierte Personen betrachtet. Auch für Nationalcoach Vittorio Pozzo blieben die „Söhne italienischer Eltern, die zufällig nach Südamerika ausgewandert sind, Italiener.“
Der erste der sogenannten Oriundi im italienischen Fußball war der Argentinier Julio Libonatti, dessen Familie aus Genua stammte und bereits 1925 zum AC Turin geholt wurde. Präsident Enrico Maroni, Boss des Getränkeherstellers Cinzano, hatte den im argentinischen Rosario geborenen Kicker auf einer Geschäftsreise entdeckt. Nach dem olympischen Fußballturnier 1928 mit dem Finale Uruguay gegen Argentinien bediente sich auch Lokalrivale Juventus in Argentinien. 1929 lockte Fiat- und Juve-Boss Umberto Agnelli Raimundo Orsi nach Turin. Dort verdiente der Linksaußen das 15-fache Gehalt eines Grundschullehrers. 1931 nahm „Juve“ auch noch Orsis Landsmann Luis Monti unter seine Fittiche. Der AS Rom verpflichtete 1933 mit Enrique Guaita, Alessandro Scopelli und Andrea Stagnaro gleich ein komplettes Trio.
In Italiens Kader für die WM 1934 standen mit Luis Monti, Enrique Guaita und Raimundo Orsi drei „Ex-Argentinier“. Von ihnen war nur Orsi für das Turnier spielberechtigt. Denn laut WM-Reglement musste ein Spieler, der die Nationalität wechselte, mindestens drei Jahre in seinem neuen Land leben und arbeiten, bevor er für dieses auflaufen durfte. Dies war bei Monti und Guaita nicht der Fall. Letzterer hatte noch 5. Februar 1933 für Argentinien gespielt.
Die FIFA ignorierte den offensichtlichen Reglementverstoß. Zu eng war die Verflechtung zwischen dem FIFA-Organisationskomitee und den Mussolini-Faschisten.
Der Schiedsrichter als Freund und Helfer
Das Turnier in Italien ging vor allem auf Grund skandalöser Schiedsrichterentscheidungen in die Annalen ein.
Im Viertelfinale traf Gastgeber Italien auf Spanien. Die Mannschaft von Vittorio Pozzo gestaltete die Begegnung als Schlacht, was der belgischer Schiedsrichter Louis Baert zuließ. Besonders Spaniens „Wunderkeeper“ Ricardo Zamora, der einzige Katalane in seinem Team, wurde wiederholt hart angegangen. Regueiro brachte die Iberer nach einer halben Stunde in Führung. In der 44. Minute konnte Ferrari für die Gastgeber ausgleichen, nachdem Zamora gerempelt worden war. 1:1 stand es auch noch nach 120 Minuten, sodass man sich nur einen Tag später erneut sah.
Spanien ging stark gehandicapt in die Wiederholung. Einige Spieler mussten verletzt zuschauen, u.a. Zamora. Nun pfiff der Schweizer Mercet, der seinen Kollegen Baert in Sachen Parteilichkeit noch übertraf. Italien gewann mit 1:0, aber Giuseppe Meazzas Kopfballtor war irregulär. Der Inter-Star hatte den Ball nur deshalb mit der Stirn erwischt, weil er sich mit beiden Händen beim Zamora-Ersatz Nogués aufstützte. Zu diesem Zeitpunkt waren weitere Spanier verletzt. Linksaußen Bosch musste sein Engagement bereits nach vier Minuten einstellen. Am Ende standen nur noch acht Iberer auf dem Rasen. Den Spaniern wurden zwei Strafstöße verweigert und zwei Treffer wurden aus unerfindlichen Gründen nicht anerkannt. Schiedsrichter Mercet wurde später auf Lebenszeit gesperrt.
Im Halbfinale traf Italien auf Österreich und gewann erneut mit 1:0. Schiedsrichter war der erst 28-jährige Schwede Ivan Eklind, der ungerührt zusah, wie Spielmacher Matthias Sindelar von Luis Monti wiederholt brutal gelegt wurde. Raimundo Orsi erzählte später in seinen Erinnerungen: Man habe Angst gehabt, im Falle einer Niederlage von Mussolini hingerichtet zu werden.
Ivan Eklind beließ es nicht dabei, dem Getrampel der Azzurri tatenlos zu zuschauen. Kurz vor dem Abpfiff griff er direkt ins Spiel ein, als er eine gefährliche Flanke der Österreicher ins Toraus köpfte. Vor dem Halbfinale gegen Österreich war er Gast von Mussolini gewesen.
Trotz seiner schwachen Leistung erhielt Eklind den Zuschlag für das Finale, in dem die Azzurri gegen die Tschechoslowakei nach 120 Minuten mit 2:1 die Oberhand behielten. Eklind machte erneut aus seinen Sympathien für den Gastgeber keinen Hehl. In der 55. Minute wurde der Prager Puc 14 Meter vor dem italienischen Tor von Monzeglio regelwidrig gestoppt, doch der fällige Elfmeterpfiff blieb aus. Eklinds Pfeife blieb auch stumm, als Meazza Krcil direkt vor den Augen des Referees einen Leberhaken verpasste. In der 76. Minute schoss Puc die Tschechen in Führung. Fünf Minuten später gelang Orsi der Ausgleich. Regelwidrig, denn zuvor hatte Meazza seinen Gegenspieler umgestoßen. In der Verlängerung schoss Schiavio Italien zum WM-Sieg, und der erste hässliche Weltmeister war geboren.
„Über dem gesamten Wettbewerb brütete ein gewisser Geist“
Viele Beobachter waren der Meinung, dass Pozzos Team nur im eigenen Land den Titel erringen konnte. Auch den Trainer plagten wohl Zweifel. Anders ist seine folgende Aussage kaum zu verstehen: 1938 in Frankreich werden wir beweisen, wer der wahre (!) Weltmeister ist.“
1934 durfte es keinen anderen Weltmeister als Italien geben. Gerieten die Italiener in Schwierigkeiten, reagierten sie mit Brachialgewalt – assistiert vom Schiedsrichter.
Der Belgier John Langenus war einer der renommiertesten Schiedsrichter der 1920er und 1930er Jahre. Er hatte das erste WM-Finale zwischen Uruguay und Argentinien geleitet und war auch bei der WM 1934 dabei. Nach dem Turniere fällte Langenus ein vernichtendes Urteil über den Gastgeber: „Abgesehen von dem Wunsch, das Turnier zu gewinnen, waren alle anderen sportlichen Überlegungen beim Gastgeber nicht existent. Über dem gesamten Turner brütete ein gewisser Geist. Die Italiener wollten gewinnen, was natürlich war, aber sie gaben dies zu deutlich zu erkennen.“ Für das Schweizer Fachblatt „Sport“ ging es beim Turnier um folgende Dinge gegangen: „1. um die Ehre, 2. um die Einnahme, 3. um die Wirkung auf das Duce-Publikum, 4. um die WM, 5. um Fußball, 6., 7., 8. und 9. um den möglichst geeigneten Schiedsrichter und 10. auch um Sport.“
Die Faschisten zogen eine positive Bilanz des Turniers. So liest man in ihrem Abschlussbericht: „Die Weltmeisterschaft hat zu so vielen Erwägungen Veranlassung gegeben, dass man nicht weiß, wo man anfangen soll. Alle deuten aber darauf hin, dass die Entwicklung der Dinge, abgesehen von ihrer sich stets steigernden dramatischen Wucht, vernünftig und musterhaft gewesen ist. Wir haben uns jedenfalls alle Mühe gegeben, niemals das höchste Ziel aus dem Auge zu verlieren, nämlich zu beweisen, dass der Sport des faschistischen Italiens den höchsten Zielen zustrebt durch das Verantwortungsbewusstsein seiner Führer und das sportliche Verhalten der großen Massen. Dies alles aber verdanken wir einem einzigen Imperator, dem Duce.“
Deserteure
Nicht alle italienischen Spieler folgten dem nationalistischen Wahn Mussolinis. In der zweiten Hälfte der 1930er nahm die Zahl der Oriundi deutlich ab. Gründe waren die Legalisierung des Profifußballs in Argentinien und das politische Klima in Italien. Die Oriundi gerieten zusehends in Misskredit, da man ihren Patriotismus und ihr „Italienertum“ anzweifelte. Im Sommer 1935 erhielt Guaita die Einberufung zum Militär und befürchtet einen Kampfeinsatz im italienisch-äthiopischen Krieg. Er flüchtete zunächst mit zwei weiteren Roma-Oriundi, Alessandro Scopelli und Andrea Stagnaro, nach Frankreich und kehrte von dort nach Argentinien zurück. Dort streifte er 1937 noch einmal das Trikot der Albiceleste über. Auch Raimundo Orsi entzog sich dem Militärdienst und flüchtete nach Südamerika, wo er noch für Penarol Montevideo und Flamengo Rio de Janeiro spielte.
Die Flucht der vier Spieler geriet zum nationalen Skandal, das faschistische Regime beschimpfte sie als Feiglinge, Diebe und Schmuggler.
Dietrich Schulze-Marmeling
Sportboykotte gegen NS-Deutschland
Das autoritär, wenn nicht diktatorisch regierte Katar ist mit Nazi-Deutschland nicht zu vergleichen. Wenn an dieser Stelle an wenig bekannte Boykott-Aktionen gegen Sportveranstaltungen der NS-Zeit erinnert wird, sollen keine simplen historischen Parallelen gezogen werden. Allerdings ist zu berücksichtigen: Die berechtigten Boykottforderungen vor den Olympischen Spielen 1936 richteten sich noch nicht gegen das Deutschland des Holocaust und der Kriegsverbrechen (das sich damals noch niemand vorstellen mochte), sondern „nur“ gegen eine rassistische, antisemitische Diktatur.
Frappierend ähnlich ist ein anderer Umstand: Damals wie heute begnügte sich das IOC (ebenso wie die FIFA) mit der Versicherung des Gastgeberlandes, man werde die Menschenrechte im Rahmen der Olympischen Spiele (bzw. des WM-Turniers) einhalten. Die übrige politische Situation in Deutschland, wo schon seit September 1935 die Nürnberger Rassegesetze galten, interessierte die IOC-Bosse dagegen nicht.
Diskussionen um Olympia 1936
Als die Nazi-Machthaber 1933 die Austragung der Olympischen Spiele erbten (sie war Berlin bereits 1931 vom IOC zugesprochen worden), erkannten sie darin einen Glücksfall und die Möglichkeit, „die weltweite öffentliche Meinung mit kulturellen Mitteln zu beeinflussen. (…) Man muss der Welt zeigen, was das neue Deutschland kulturell zu leisten vermag“, so Propagandaminister Goebbels. Ein klarer Fall von Sportwashing, würden wir heute sagen. Gegenüber internationalen Skeptikern versicherte die Reichsführung, dass „sämtliche Vorschriften, denen die Olympischen Spiele unterliegen, eingehalten werden“ und dass „deutsche Juden grundsätzlich nicht aus der deutschen Mannschaft für die Olympiade ausgeschlossen werden“. Dem IOC reichte das.
Dennoch entstanden vor 1936 kleinere Boykottbewegungen in Skandinavien und Großbritannien, die aber keine große Wirkung erzielten. In den USA hingegen riefen die antisemitischen Rassegesetze im Deutschen Reich stärkere Besorgnisse hervor. Eine Petition gegen die Teilnahme der US-Sportler*innen erzielte eine halbe Million Unterschriften, es gab Protestveranstaltungen mit Zehntausenden Teilnehmer*innen. Auch die American Athletic Union (AAU) sprach sich für einen Boykott der Spiele aus, sofern die Teilnahme jüdischer Athlet*innen „nicht faktisch ebenso wie theoretisch“ garantiert werde.
Avery Brundage, Vorsitzender des Nationalen Olympischen Komitees der USA, Mitglied des IOC (und später, ab 1952, dessen Präsident), versuchte, die Proteste zu untergraben. Er war selbst Antisemit und brüstete sich damit, dass seine Sportklubs in Chicago Juden ausschlössen. Von einer „Erkundungstour“ durchs Deutsche Reich kam er mit der Versicherung zurück, es gebe „keinerlei Diskriminierung“ von Juden im deutschen Sport. Als die Deutschen zusagten, zwei „Halbjuden“ zu den Spielen antreten zu lassen – die Fechterin Helene Mayer und den Eishockeyspieler Rudi Ball (beide lebten im Ausland), konnte sich Brundage im US-NOK durchsetzen. Auch die AAU sprach sich auf einer Delegiertenversammlung mit knapper Mehrheit (58:56) für die Teilnahme aus. Brundage hatte die entscheidende Abstimmung um einen Tag verschoben, weil sich eine Niederlage abzeichnete und er weitere Delegierte aus seinem Lager herbeirufen konnte. Die USA traten somit 1936 in Garmisch-Partenkirchen und in Berlin an.
Fußball-Boykotte 1938, 1939
Die internationalen Fußballbeziehungen liefen nach 1933 zunächst „as usual“. Zuweilen kam es bei Spielen der deutschen Nationalelf im Ausland zu Protesten und Demonstrationen, so im März 1935 in Paris und im Dezember 1935 in London; beide Male distanzierten sich die nationalen Fußballverbände von diesen Aktionen. Auch als bei der WM 1938 die „großdeutsche“ Mannschaft mit einer offensichtlich auf politischen Druck zusammengestellten Elf antrat – paritätisch besetzt mit Spielern aus dem „Altreich“ und der gerade einverleibten „Ostmark“ (Österreich) – störte sich die FIFA nicht an diesem politischen Eingriff.
Kurz danach allerdings folgten als historische Einschnitte im November 1938 die Reichspogromnacht, die eine neue Brutalität der Nationalsozialisten gegenüber den Juden demonstrierte, und im März 1939 der Überfall auf die Tschechoslowakei. Dieses militantere Vorgehen des NS-Regimes hatte nun doch Auswirkungen auf die sportlichen Auslandsbeziehungen.
Einen Monat nach der Reichspogromnacht sagte der Rotterdamer Bürgermeister das geplante Fußball-Länderspiel zwischen den Niederlanden und Deutschland ab. Der „Kicker“, Organ des DFB, reagierte in einem Artikel seines Hauptschriftleiters Müllenbach mit offen antisemitischen Beschimpfungen: „Holland war für diese jüdisch-bolschewistische Clique schon lange ein günstiger Boden.“ Man wisse, „daß der Kampf der Juden und ihrer bezahlten Helfer nichts und gar nichts anderes ist, als eine bewußte Gefährdung des Friedens unter den Völkern. Nun blieb es den holländischen Behörden vorbehalten, sich ins Schlepptau dieser Hetzer nehmen zu lassen.“
Nach dem Einmarsch deutscher Truppen in die Tschechoslowakei sagte der FC Everton eine geplante Tournee durch Deutschland ab, und der französische Innenminister verbot ein Länderspiel gegen Deutschland. Prompt empörte sich „Kicker“-Chef Müllenbach über eine „große englische Hetzkampagne“ bzw. einen „Hetzfeldzug“ in Frankreich. Die zuvor meist bewunderten englischen Profis waren nun nur noch „Sklaven des Geldes der Plutokratie“.
Als Hitler-Deutschland den Weltkrieg entfesselt hatte, rissen die Kontakte zu den Fußballverbänden der Kriegsgegner zwangsläufig ab. Die Verbände der neutralen Länder Schweden und Schweiz dagegen standen dem deutschen Fußball weiterhin zu Diensten. Als deren Teams im Herbst 1942 die deutsche Elf mit „Freundschaftsspielen“ beehrten, waren in Auschwitz-Birkenau bereits die Gaskammern in Betrieb.
Bernd Beyer
WM 1938 – „DAVID TELL“ GEGEN NAZI-DEUTSCHLAND
Das Turnier in Paris, das im Juni 1938 stattfand – und damit 14 Monate vor Beginn des Zweiten Weltkriegs –, stand bereits ganz im Zeichen von Hitlers Expansionspolitik. Im spanischen Bürgerkrieg wirkte die deutsche Wehrmacht wesentlich daran mit, das Blatt zugunsten des diktatorischen Franco-Regimes zu wenden. In der Tschechoslowakei betrieb das Deutsche Reich die Annexion der Sudetenregion. Und im März, nur drei Monate vor dem WM-Anpfiff, besetzten Wehrmachts- und SS-Verbände Österreich, um den sog. „Anschluss“ des Landes als „Ostmark“ ans Deutsche Reich durchzusetzen.
Letzteres hatte unmittelbare Auswirkungen auf das WM-Turnier, da Österreich qualifiziert war, aber nach Auflösung des ÖFB nicht mehr als eigenständiger Verband teilnehmen konnte. Reichstrainer Sepp Herberger musste eine politisch genehme „großdeutsche“ Auswahl zusammenbasteln, um die internationale Stärke des österreichischen Fußballs zumindest dem Schein nach anzuerkennen. Ein Unternehmern, auf das er sich nur widerwillig einließ, denn der spielerische „Donaufußball“ österreichischer Prägung und das stabile deutsche „W-M-System“ passten nur schlecht zusammen. Die Formel „6 + 5“ („Altreich“ + „Ostmark“) war alles andere als ein Erfolgsrezept.
Antideutsche Stimmung in der Schweiz
Als ersten Gegner bekamen die „Großdeutschen“ im Achtelfinale (Gruppenspiele gab es nicht) die Schweiz zugelost. Das war schon sportlich keine leichte Aufgabe; in zwei vorangegangenen Freundschaftsspielen hatte sich die DFB-Elf einmal knapp 1:0 durchgesetzt (Mai 1937) und einmal unentschieden gespielt (Februar 1938). Man spielte also auf Augenhöhe.
Brisanter war die antideutsche Stimmung, die sich in der Schweiz anlässlich dieser Spiele artikuliert hatte. Beim deutschen Gastspiel in Zürich kam es zu massiven politischen Demonstrationen. Die Schweizer Historiker Brändle und Koller zitieren einen Gestapo-Bericht, in dem es hieß: „Auf dem Hauptbahnhof wurden Hakenkreuzfahnen demonstrativ zerrissen. Frauen fuhren sich damit über das Gesäß. Flugblätter, verfasst von Heinrich Mann und solche, die sich auf den Krieg in Spanien bezogen, wurden geworfen.“
Seither hatte sich die Stimmung noch verschlechtert. Brändle/Koller: „Eine kurz nach dem ‚Anschluss‘ erschienene Ausgabe der Zeitschrift ‚Der Schulungsbrief‘, die eine Auflage von über drei Millionen Exemplaren hatte und als Hauptlehrmittel an NSDAP-Schulungsabenden diente, erregte in der Schweizer Öffentlichkeit Aufsehen, war darin doch eine Karte abgebildet, welche die Schweiz zum ‚deutschen Volksraum’ zählte. Dass in dieser aufgeladenen Atmosphäre eine sportliche Begegnung der beiden Staaten eine besondere Bedeutung erlangte, vermag nicht weiter zu verwundern.“
Pfiffe in der Schlacht
So war die WM-Begegnung der beiden Mannschaften von vornherein politisch aufgeladen – sowohl auf dem Rasen wie auf den Rängen. Die Spieler begegneten sich mit übergroßer Härte – die französische „L’Équipe“ sah „mehr eine Schlacht als ein Spiel“. Und die Zuschauer standen fast ausschließlich auf Seiten der Eidgenossen – sieht man von den wenigen deutschen Schlachtenbummlern ab, die eisern das „Horst-Wessel-Lied“ anstimmten und dafür heftig ausgepfiffen wurden, von Schweizern wie Franzosen. In Frankreich regierte eine linke Front Populaire und stemmte sich gegen rechtsextreme Umsturzversuche. Die öffentliche Meinung wandte sich ganz überwiegend gegen die deutschen Nazis und ihre fußballerischen Aushängeschilder. Die sozialistische Tageszeitung „Le Populaire“ nannte die deutschen Spieler ironisch „Unterführer des deutschen Sports“.
Nach dem 1:1 in der ersten Begegnung wurde ein Entscheidungsspiel notwendig, wobei sich die Stimmungslage auf den Rängen nicht änderte. Dazu trug auch der Schweizer Stürmer André Abegglen bei, der seit 1935 in der französischen Division 1 spielte, dort zum Torschützenkönig avancierte und mit seinem Verein FC Sochaux zweimal französischer Meister wurde. Gegen die Deutschen trat er als gemeinsamer Publikumsliebling der französischen wie der Schweizer Zuschauer an – was er im ersten Spiel durch seinen Ausgleichstreffer und im zweiten Spiel durch zwei Tore zum 4:2-Erfolg noch untermauerte.
Kein Wunder, dass sich der Berichterstatter des Münchner „Fußball“ über eine „einseitige“ Stimmung auf den Rängen beklagte und darüber, „dass die viel zitierte französische Gastfreundschaft doch sehr nachgelassen hat“. Freistöße gegen die Deutschen seien mit Beifall bedacht worden, Freistöße für die Deutschen mit Pfiffen und Schlimmerem. Die frustrierte Berliner „Fußballwoche“ sah gar „eine Kulisse von einseitigsten, unsportlichsten Fanatikern, die an der deutschen Fußballmannschaft irgendwelchen politischen Ärger glaubten austoben zu können“. Damit sei es dem Publikum gelungen die „deutsche Mannschaft zu entnerven und die Entscheidung gegen sie zu erzwingen“.
Auch Reichstrainer Herberger strickte an dieser Dolchstoßlegende mit und notierte: „Niedergeschrieen bei jedem geringsten Körpereinsatz, getrauten sich unsere Leute überhaupt nicht mehr zu kämpfen.“
Eidgenössischer Jubel
In der Schweiz sorgte der Erfolg über den großen Nachbarn für überschäumenden Jubel; auf den Straßen wurde getanzt und die Nationalflagge geschwungen. Allenthalben wurde das Bild vom „David gegen Goliath“ und die eidgenössische Gründungslegende Wilhelm Tell bemüht.
Der Jubel hatte eine unübersehbare politische Dimension, die im bürgerlichen Lager eher patriotisch, im linken Lager eher antifaschistisch orientiert war. Die Basler „Arbeiterzeitung“ kommentierte: „Es war gestern Abend toll in den Straßen unserer Stadt. Der ganze Hass gegen das Dritte Reich kam zum Ausdruck.“ Brändle/Koller zitieren den späteren Präsidenten der schweizerischen Sozialdemokraten, Nationalrat Helmut Hubacher: „Für meinen Großvater war es ein politisches Match; es war die Schweiz gegen Hitler-Deutschland, gegen die Nazis.“
Hitler-Deutschland schmollte entsprechend, im Nachhinein vor allem gegen die französischen Gastgeber. Der „Fußball“ schrieb in Anspielung auf das misslungene 6+5-Experiment: „Einige Franzosen geben ihrer Freude unverhohlen Ausdruck, dass der ‚Anschluss‘ so gründlich missglückt ist.“ Um jenen Franzosen warnend zu entgegnen: „Na, wartet nur ein Weilchen.“
Vielleicht war die Drohung nur sportlich gemeint. Doch sie wurde blutiger Ernst, als genau zwei Jahre später Hitlers Truppen Frankreich überfielen.
Bernd Beyer
WM 1942 – Das Turnier, das die Nazis veranstalten wollten
Bei den Olympischen Spielen 1936 sowie dem WM-Turnier von 1938 hatte die deutsche Nationalelf schmählich versagt. Doch das wog letztlich wenig gegenüber dem Propagandaerfolg, den die Nazis mit den Berliner Spielen insgesamt verbuchen konnten. Außerdem hatten sie schon bei der WM 1934 in Italien erlebt, wie wunderbar Faschistenführer Mussolini auch ein Fußballturnier für seine politischen Zwecke ausbeuten konnte. So wundert es nicht, dass die nationalsozialistische Sportführung darauf erpicht war, schon bald ein WM-Turnier ins Reich zu holen.
Die Vorzeichen dafür schienen widersprüchlich. Angeblich hatte FIFA-Präsident Jules Rimet den Deutschen den Zuschlag für 1942 versprochen, weil sie auf eine Bewerbung für 1938 verzichtet hatten. (Diese WM wollte und erhielt Rimets für sein Heimatland Frankreich.) Andererseits gab es ein informelles Agreement innerhalb der FIFA, demzufolge nach zwei Turnieren in Europa nun wieder Südamerika an der Reihe war. Ohnehin waren die dortigen Verbände zutiefst verärgert gewesen, nicht schon 1938 berücksichtigt worden zu sein. Brasilien hatte sich bereits offiziell beworben und argwöhnte, durch eine heimliche Absprache zwischen Frankreich und Deutschland ausgebootet worden zu sein.
„Deutschland zur Ausrichtung übertragen“
So mag es ein politisch motivierter Versuch gewesen sein, die Hängepartie zu beeinflussen, als das „Deutsche Nachrichtenbüro“ am 20. Dezember 1939 verbreitete, bei der Sitzung des FIFA-Vorstandes in Genua sei „endgültig beschlossen (worden), die vierte Weltmeisterschaft 1942 Deutschland zur Ausrichtung zu übertragen“.
Die FIFA dementierte umgehend und verwies darauf, allein der für 1940 in Luxemburg geplante FIFA-Kongress sei befugt, über die Vergabe zu entscheiden. Zudem hatte man in Genua ohne einen südamerikanischen Delegierten getagt, was einen solchen Beschluss erst recht unwahrscheinlich machte. FIFA-Generalsekretär Ivo Schricker erklärte die Meldung daher als „in allen Teilen vollkommen erfunden“. Angesichts dieser eindeutigen Klarstellung blieb auch dem DFB bzw. seinem Nachfolger, dem „Fachamt Fußball“ im Nationalsozialistischen Reichsbund für Leibesübungen, nichts anderes übrig, als sich von der Presseente zu distanzieren.
Letztendlich versandete die Angelegenheit, denn der geplante FIFA-Kongress in Luxemburg fiel dem Weltkrieg zu Opfer – wie die gesamte WM 1942 und als Kriegsfolge auch das Turnier von 1946. Das deutsche Team, das in Herbergers Masterplan erst bei den (ebenfalls abgesagten) Olympischen Spielen 1940 in Tokio und danach bei einem WM-Turnier vor heimischer Kulisse groß auftrumpfen sollte, wurde von den deutschen Kriegshetzern selbst um möglichen Lorbeer gebracht.
Die FIFA sollte vereinnahmt werden
Was der Weltkrieg hingegen nicht verhinderte, sondern eher beförderte, waren Pressionsversuche der deutschen Sportführung gegenüber der FIFA. Schon länger beklagte man einen zu geringen Einfluss des DFB auf den internationalen Verband. Nun, da der Krieg ordentliche Tagungen der FIFA-Gremien unmöglich machte, sah man die Chance, „die Spitze aller internationalen Verbände entsprechend der ohne Zweifel eintretenden neuen Weltlage umzugestalten“. Das jedenfalls schrieb im Juli 1940 Peco Bauwens, der für den DFB im Exekutivkomitee der FIFA saß, ein erzkonservativer Funktionär, der keineswegs gewillt war, seine persönliche Karriere sowie das Wohlergehen seines großen Kölner Bauunternehmens durch eine regimekritische Haltung zu gefährden. Adressat seines Schreibens war FIFA-Generalsekretär Ivo Schricker, ebenfalls ein Deutscher mit DFB-Vergangenheit, zugleich ein Kosmopolit, der mit diplomatischem Geschick Distanz zum NS-Regime zu wahren suchte.
Die Korrespondenz der beiden Gegenspieler hat der Sporthistoriker Dr. Arthur Heinrich untersucht. Demzufolge planten die Deutschen, die Entscheidungsstrukturen der FIFA zugunsten der großen Verbände zu reformieren und FIFA-Präsident Jules Rimet abzulösen. Vermutlich hatte man dessen Stellvertreter, den Italiener Giovanni Mauro, als Nachfolger im Auge, wobei den Deutschen zumindest ein Vizepräsidenten-Stuhl zustehen sollte.
Da die FIFA 1932 ihren Sitz in einem „Akt der Klugheit“ (so Schricker an Bauwens) in der neutralen Schweiz genommen hatte, war den Deutschen der gewaltsame Zugriff verwehrt. Zugleich aber sah sich der Verband räumlich eingeschlossen von Deutschland (incl. „Ostmark“), dem deutsch besetzten Teil Frankreichs sowie dem faschistischen Italien. Faktisch hatten Deutsche und Italiener per Visa-Erteilung die Kontrolle darüber, welche Mitglieder überhaupt zu FIFA-Treffen in Zürich gelangen konnten. „Und davon“, so Heinrich, „gedachte man im Januar 1941 offensichtlich Gebrauch zu machen.“ Bauwens gelang es, sich mit italienischer Hilfe in das einzige halbwegs handlungsfähige FIFA-Gremium zu drängeln, den sog. Dringlichkeitsausschuss. Doch eine grundlegende FIFA-Reform blockte Schricker mit dem stoischen Hinweis ab, dafür sei das Votum eines FIFA-Kongresses erforderlich – und der könne erst nach Ende des Krieges zusammentreten.
Karrieren nach dem Krieg
Als der Weltkrieg tatsächlich vorbei und das Nazi-Regime besiegt war, vollzog Bauwens eine wenig erstaunliche Kehrtwendung und behauptete nun, er habe „gegen diese Versuche gearbeitet“, von deutscher Seite „die Kontrolle über die ‚FIFA’ zu erlangen“. Nähere Auskünfte über seinen Widerstand gab er nicht, und Historiker Heinrich konnte auch keine Hinweise darauf finden. Doch Bauwens galt als unbelastet genug, 1950 zum ersten Präsidenten des wiedergegründeten DFB gewählt zu werden.
Eine noch schönere Karriere machte übrigens vor und nach 1945 der Mann, der zusammen mit Bauwens die sportpolitischen Fäden gezogen hatte. Der hieß Guido von Mengden und war als westdeutscher Provinzfunktionär schon in der Weimarer Zeit mit antisemitischen Tiraden aufgefallen. In der Nazi-Zeit avancierte er zum SA-Sturmbannführer und legte zugleich einen steilen beruflichen Aufstieg hin, der ihn auf den einflussreichen Posten des Generalreferenten beim Reichssportführer brachte. Der Sporthistoriker Hajo Bernett nannte ihn den faktischen „Generalstabschef“ des deutschen Sports. Guido von Mengden gab dem willigen Peco Bauwens die Marschrichtung vor: Der internationale Einfluss, den Deutschland durch den „infamen Rausschmiss“ nach dem Ersten Weltkrieg verloren habe, müsse wiederhergestellt werden, indem man, so von Mengden, in den Verbänden „ein wenig aufräume“. Für den sonst diplomatisch-zurückhaltenden FIFA-Generalsekretär Schricker war Guido von Mengden „der übelste Nazi-Vertreter“, „höchst unsympathisch“ und „ein übler Bursche“.
Doch auch für diese Figur bedeutete der Zusammenbruch von Nazi-Deutschland nicht das Karriereende, im Gegenteil: 1964 wurde Guido von Mengden Hauptgeschäftsführer des Deutschen Sportbundes und ein paar Jahre später Generalsekretär des Nationalen Olympischen Komitees. Er war von der „braunen“ zur „grauen“ Eminenz des deutschen Sports geworden.
Bernd Beyer
WM 1950 – In einer neuen Weltordnung
Zweimal war das WM-Turnier wegen des Zweiten Weltkriegs ausgefallen – 1942 und 1946 –, doch nun sollte es wieder losgehen. Die Organisatoren sahen sich einer Weltordnung gegenüber, die sich infolge des Krieges grundlegend verändert hatte. Nicht mehr das Vormachtstreben faschistischer Regimes beherrschte die politische Landschaft, sondern der Ost-West-Konflikt. Alle osteuropäischen Staaten wurden nun „realsozialistisch“ regiert und zählten zur Einflusssphäre der Sowjetunion; zugleich waren die USA zur Weltmacht aufgestiegen.
Umbrüche in der FIFA
Vor dem Krieg hatte die UdSSR nicht der FIFA angehört. Der sowjetische Fußballverband pflegte Kontakte zu den linken Arbeiter-Sportverbänden in kapitalistischen Staaten; es gab auch Länderspiele, beispielsweise 1927 zwei Begegnungen gegen eine deutsche Arbeiter-Auswahl in Leipzig und Hamburg oder 1932 ein Freundschaftsspiel in Moskau, vor 50.000 Zuschauern. (In allen drei Spielen siegte die Sowjet-Auswahl). Gegen die Türkei kam 1924 und 1925 sogar zu zwei Länderspielen gegen die Auswahl eines Nationalverbandes, der der FIFA angehörte – was laut FIFA-Statut eigentlich verboten war. Aber der Weltfußballverband drückte ein Auge zu. Anders als das strikt antikommunistisch orientierte IOC verfolgte die FIFA schon früh das Ziel, die Sowjetunion zum Beitritt zu bewegen.
Dies gelang aber erst nach dem Zweiten Weltkrieg. Inzwischen war die Kommunistische Internationale aufgelöst worden, was einen gewissen Verzicht der Sowjetunion auf internationale, kommunistisch orientierte Parallelstrukturen bedeutete. Auch die „Rote Sportinternationale“ gab es nicht mehr, vielmehr näherte man sich nun den „bürgerlichen“ Einheitsverbänden an. Sowohl die UdSSR wie die großen Fußballnationen Ungarn, Tschechoslowakei und Jugoslawien stellten Aufnahmeanträge. Ebenso die britischen Verbände, die nach dem Ersten Weltkrieg die FIFA verlassen hatten – unter anderem aus Zorn darüber, dass der internationale Verband Britanniens Kriegsgegner Deutschland nicht ausgeschlossen hatte.
Das war nun, nach Holocaust und Zweitem Weltkrieg, anders. Deutschland und Japan flogen aus der FIFA und durften erst zurückkehren, als das WM-Turnier 1950 bereits gelaufen war. Diese Entscheidung erleichterte den Briten sicherlich die Rückkehr, weshalb die FIFA nun breiter aufgestellt war als je zuvor. „Von nun an beginnt für die FIFA – und allgemein auch für den Fußball – eine neue Epoche“, schrieb der (deutsche) FIFA-Generalsekretär Ivo Schricker und prophezeite „eine vollkommene und freundschaftliche Union der Assoziationen der Welt“.
„Ostblock“ zögert noch
England nahm tatsächlich an dem Turnier 1950 in Braislien teil, bekam aber mit einem schmählichen 0:1 gegen das fußballerische Entwicklungsland USA die Quittung für seine jahrzehntelange arrogante Abschottung.
Aus Osteuropa dagegen ging lediglich Jugoslawien an den Start. Das Land wurde zwar sozialistisch regiert, verstand sich aber gegenüber der sowjetischen Hegemonialmacht als „blockfrei“. Die technisch starken Kicker vom Balkan, Halbfinalisten bei der ersten WM 1930, schlugen sich gut und gewannen zwei Gruppenspiele gegen Mexiko und die Schweiz deutlich. Ihr Pech war, dass in ihrer Gruppe auch Gastgeber Brasilien mitspielte und dass nur der Gruppenerste die Finalrunde erreichte. Das entscheidende Spiel verloren die Jugoslawen nach nahezu ausgeglichenem Spiel vor 142.000 Zuschauern mit 0:2.
Die UdSSR schickten wie die übrigen realsozialistischen Staaten ihre Fußballer nicht zur WM. Zwar hatte die sowjetische Führung 1949 das Vorhaben beschlossen, „in der unmittelbaren Zukuft die globale Vormachtstellung in wichtigen Sportarten zu erlangen“. Doch unter der Fuchtel Stalins nahm man den internationalen Spielverkehr nur zögerlich auf. Man fürchtete, sich durch Niederlagen den Zorn des Diktators einzufangen. Nikolai Romanow, der damalige Vorsitzende des Sowjetischen Sportkomitees, berichtete später: „Um eine Genehmigung für die Teilnahme an internationalen Wettbewerben zu erhalten, musste ich eine spezielle Notiz an Stalin senden, in der ich einen Sieg garantierte.“ Und das ist im Fußball bekanntlich besonders schwer.
Dass die Furcht nicht unbegründet war, sollte sich nach den Olympischen Spielen 1952 erweisen: Die Sbornaja fuhr zum olympischen Fußballturnier nach Helsinki, scheiterte aber in der ersten Runde ausgerechnet am Dissidenten Jugoslawien. Stalin sah die Niederlage als persönlichen Affront und ließ kurzerhand die Nationalmannschaft auflösen. Spieler und Trainer wurden als Agenten des jugoslawischen Titoismus verdächtigt, ein Vorwurf, der leicht im Gulag enden konnte. Nach Stalins Tod 1953 kam die Sbornaja wieder zusammen und zeigte bald ihre internationale Klasse, als sie gegen den amtierenden Weltmeister BRD zweimal gewann. 1956 holte sie mit olympischem Gold in Melbourne ihren ersten internationalen Titel, 1960 bei der Europameisterschaft den zweiten.
Doch das WM-Turnier 1950 in Brasilien kam für die meisten Ostblock-Mannschaften noch zu früh. Die Sowjets beispielsweise hatten noch kein einziges FIFA-Länderspiel absolviert. Und die traditionell starken Fußballnationen Ungarn (WM-Finalist 1938) und Tschechoslowakei (WM-Finalist von 1934) waren noch mit der sozialistischen Umorganisation ihres Sport beschäftigt. In Ungarn bildeten sich erste Konturen des „Wunderteams“ um Ferenc Puskác und Nandor Hidegkuti heraus, das bald Furore machen sollte: Gold beim olympischen Fußballturnier 1952, sensationeller 6:3-Sieg gegen England 1953 im heiligen Wembley. Und für die WM 1954 galt man als felsenfester Favorit …
P.S.: Das brasilianische Trauma
Bekanntlich verlor Gastgeber Brasilien bei der WM 1950 vor 200.000 Zuschauern im Maracana das entscheidende Spiel gegen Uruguay und damit auch den fest erwarteten Titel als Weltmeister. Das ganze Land fiel in eine tiefe Depression. Angesichts des in der brasilianischen Gesellschaft grassierenden Rassismus‘ wurden die Sündenböcke wenig überraschend beim farbigen Teil des Nationalteams gesucht. Dietrich Schulze-Marmeling schreibt in seiner „Geschichte der Fußball-Weltmeisterschaft“: „Als Schuldige für die Tragödie wurden die drei schwarzen Spieler Bigode, Barbosa und Juvenal ausgemacht, denen ein Mangel an Charakter, Persönlichkeit und Disziplin vorgehalten wurde. Von Bigade wurde kolportiert, er sei ein Säufer.“
Barbosa galt bis zum Finale als bester Torhüter des Turniers, doch ein vermeintlicher Fehler, der Uruguays Siegtreffer ermöglichte, hing ihm nun an. Noch 1993, als er die Selecao im Trainingslager besuchen wollte, verwehrte man ihm den Zutritt, weil man ihn als Unheilbringer fürchtete. Barbosa damals: „In Brasilien ist die Höchststrafe für ein Verbrechen 30 Jahre, doch ich zahle jetzt schon 43 Jahre für ein Verbrechen, das ich nicht begangen habe.“ Es sollte 56 Jahre dauern, bis zur WM 2006, dass wieder ein farbiger Keeper bei einer Endrunde das brasilianische Tor hüten durfte.
Vom Trauma eines verpassten Titelgewinns im eigenen Land wollte sich Brasilien schließlich im Jahr 2014 heilen, als man erneut als Gastgeber fungierte. Das trostlose Ende dieser Hoffnung ist bekannt und lässt sich in zwei Ziffern ausdrücken: 1:7.
Bernd Beyer
WM 1954 – WAS DEN UNGARN GESCHAH
Redaktionelle Vorbemerkung:
Die WM 1954 wird in Deutschland natürlich vor allem mit dem Stichwort „Wunder von Bern“ verbunden. Die sportlichen wie politischen Aspekte dieses „Wunders“, seine gesellschaftliche Bedeutung für die junge Bundesrepublik, ist Thema ganzer Berge von Publikationen. Das alles wollen wir an dieser Stelle nicht erneut ausbreiten, sondern uns in diesem Beitrag des Fußball-Historikers Werner Skrentny der gegnerischen Mannschaft widmen, den im Finale so überraschend unterlegenen Ungarn. Mit den Endrunden-Teilnehmern Tschechoslowakei (Aus nach der Vorrunde); Österreich (WM-Dritter) und eben Ungarn zeigten die alten Mächte des legendären „Donau-Fußballs“ noch einmal ihr Können. Die politischen Umbrüche brachten es mit sich, dass es zugleich ihr Abgesang war.
In Ungarn war vor dem Anpfiff zum Finale 1954 im Berner Wankdorf-Stadion das Gefühl vorherrschend, bereits Weltmeister zu sein. Die Sockel, auf denen später die Statuen der Champions errichtet werden sollten, standen bereits beim Nep-Stadion in Budapest. Diese Selbstsicherheit war Resultat einer überragenden Siegesserie: Vom 14. Mai 1950 bis zum Endspieltag am 4. Juli 1954 erreichte der Olympiasieger von 1952 in 32 Länderspielen 28 Siege, vier Remis und 144:33 Tore. Höhepunkt war 1953 das „Jahrhundertspiel“, in dem Ungarn im Wembley-Stadion England mit 6:3 vom Platz fegte.
Nationaltrainer Gusztáv Sebes formte diese Mannschaft; als stellvertretender Sportminister hatte er freie Hand. Weil der populärste ungarische Fußballklub Ferencvárosi (Volksmund: „Fradi“, sprich: „Frodi“) aufgrund seiner früheren Nähe zum faschistischen Horthy-Regime nicht infrage kam, konzentrierte Kommunist Sebes die Nationalspieler in anderen Klubs: bei Honvéd Budapest (früher Kispesti AC) und Vörös Lobog (ehemals MTK, 1940 unter Horthy verboten). „Die Landesverteidiger“ (Honvéd) waren der Militär-Klub, „Rotes Banner“ (Vörös Lobog) war an die Behörde für Staatsverteidigung (geheime Staatspolizei) gebunden.
Ursachenforschung
„Warum haben wir verloren?“ Die Enttäuschung über das 2:3 führte in der Hauptstadt zu Ausschreitungen: Straßenbahnen wurden umgestürzt, die Redaktionsräume der Sportzeitung „Nepsport“ verwüstet, ebenso die Wohnung von Sebes.
Die Liste der „Gründe“ für die sensationelle Final-Niederlage wurde mit der Zeit lang und länger. Dass Puskás (Purzeld), Kocsis (Wagner), Hidegkúti (Kaltenbrunner), Lantos (Lendenmayer) und Trainer Sebes (Scharenpeck) donauschwäbischer Herkunft waren, fiel nicht ins Gewicht. Andere Gerüchte kamen in Umlauf: Das Spiel sei an den Mercedes-Konzern, an VW, vielleicht sogar für Erntemaschinen aus der BRD verkauft worden. Das ungarische WM-Quartier, das Traditionshaus „Hotel Krone“ in Solothurn, das Herbergers Kundschafter Albert Sing zu Recht verworfen hatte, kam in die Debatte. Denn es lag im lebhaften Stadtkern, und in der Nacht vor dem Endspiel fand um die Hauptgasse 64 ein Altstadtfest statt.
Spielmacher Ferenc Puskás im Rückblick auf das Endspiel, in das er angeschlagen ging: „Etliche von uns, so fünf oder sechs, brachen nach dem 1:2 nervlich zusammen. Brasilien und Uruguay (Anm.: im Viertel- und Halbfinale), so kurz aufeinander, waren zu viel gewesen.“
Als mehrere deutsche Spieler nach dem Turnier an Gelbsucht erkrankten, kamen hartnäckige Gerüchte auf, der bundesdeutsche Erfolg sei mit Hilfe von Doping zustande gekommen. Ferenc Puskás behauptete dies in einem Interview mit „France Football“, woraufhin der DFB Begegnungen bundesdeutscher Mannschaften gegen Puskás verbot und gegen die französische Zeitung einen Interview-Boykott verhängte. Beides galt bis zur Puskás-Entschuldigung von 1960. (50 Jahre später legte Erik Eggers in einer Forschungsarbeit der Humboldt-Universität Berlin nahe, dass einige deutsche Spieler das Aufputschmittel Pervitin erhalten hätten.)
Eine andere Behauptung war, DFB-Stopper Werner Liebrich hätte Puskás beim 3:8 in der Zwischenrunde zusammengetreten (was so nicht zutraf). Der Kaiserslauterer klagte gegen die in einem englischen Buch aufgestellte Behauptung und erstritt eine „Genugtuungssumme“. Die Aussöhnung beider Akteure führte 1956 der „Kicker“ herbei.
Der Gang ins Exil
Aufgrund der angespannten Lage in der Hauptstadt durften die WM-Teilnehmer erst einmal nicht nach Budapest heimkehren, sondern trafen im Trainingslager Tata auf Mátyás Rákosi, den früheren stalinistischen Diktator, zu der Zeit noch Vorsitzender der Partei der ungarischen Werktätigen (MDP), der milde Worte fand. Verfolgt wurde nach eigenen Angaben einzig Torhüter Gyula Grosics; die Akten zum sog. Landesverrat existieren nicht mehr. Grosics musste 15 Monate inaktiv bleiben und wurde zum 1. Januar 1956 zum Bergarbeiter-Klub Tatabánya BSE „delegiert“.
Tatsächlich setzte die „Aranycsapat“, die „Goldene Mannschaft“, ihre Erfolgsserie fort. Erst im Februar 1956 erlitten die Magyaren im 19. Spiel nach der WM wieder eine Niederlage, ein 1:3 in Istanbul.
Das Ende der „Aranycsapat“ kam denn auch erst zweieinhalb Jahre nach Bern. Der 23. Oktober 1956 gilt als Beginn des ungarischen Aufstands gegen die sozialistische Regierung. Honvéd mit Puskás und anderen Nationalspielern war zu diesem Zeitpunkt ebenso auf Tournee im westlichen Ausland wie Vöros Lobogo und die Junioren-Nationalmannschaft. Dennoch gab es Falschmeldungen: Czibor würde auf den Barrikaden kämpfen, Puskás sei umgekommen.
Zunächst blieb man im Ausland, auch wenn Puskás im November 1956 erklärte: „Noch vor Weihnachten werden wir alle wieder daheim sein!“ Vorerst finanzierte sich das Team mit spektakulären Freundschaftsspielen wie dem 5:5 gegen die Kombination RW Essen / Fortuna Düsseldorf, als das Publikum die Hafenstraße förmlich überrannte. Nach und nach gelang den Familienangehörigen der Spieler die Ausreise, sogar Grosics, der später beim Gastspiel beim FC Barcelona wieder das Honvéd-Tor hütete. Inzwischen war der Aufstand in der Heimat von der Sowjetarmee niedergeschlagen worden.
Im Europacup mussten die Heimatlosen am 22. November beim spanischen Meister Bilbao antreten (2:3). Die Basken verweigerten das Rückspiel am 20. Dezember in Budapest, man spielte im Brüsseler Heysel-Stadion, dort schied Honvéd nach einem 3:3 aus.
In Brüssel versuchte Gusztáv Sebes, Honvéd zur Heimkehr zu überreden: „Kommt zurück! Ganz Ungarn wird euch begeistert empfangen.“ Zoltán Czibor (28, zum FC Barcelona), Sandor Kocsis, der WM-Torschützenkönig von 1954 (28, zu Young Fellows Zürich und FC Barcelona) und Ferenc Puskás (29, zu Real Madrid) aber kehrten nicht heim, ebenso wenig 13 von 16 Junioren-Nationalspielern, darunter der spätere Eintracht-Frankfurt-Star Istvan Sztani.
Ein Endspiel um die Fußball-Weltmeisterschaft sollte Ungarn nie mehr erreichen.
Werner Skrentny
WM 1958 – Ein beleidigter Titelverteidiger
Als sich „Hammer“ Juskowiak in der 59. Minute des Halbfinals gegen Gastgeber Schweden zu einem Revanchefoul an seinem Gegenspieler Kurt Hamrin hinreißen ließ und vom Platz flog, war für die bundesdeutsche Mannschaft die WM 1958 gelaufen. Sportlich, weil man anschließend zwei Gegentreffer kassierte und mit 1:3 den erhofften Finaleinzug verpasste. Und stimmungsmäßig, weil man sich in eine beträchtliche Empörung steigerte und dieses Gefühl mit nicht wenigen Deutschen zu Hause teilte.
Dabei bewies der vierte Platz, auf dem man nach einer abschließenden 3:6-Niederlage gegen Frankreich schließlich landete, dass Herbergers Elf weiterhin zur Fußball-Elite der Welt zählte und der Titelgewinn von 1954 kein Zufall gewesen war. Daran war zeitweilig durchaus gezweifelt worden. In den 18 Länderspielen, die nach dem Finale von Bern bis zum Jahresende 1956 ausgetragen wurden, hatte die DFB-Elf zwölf Niederlagen bezogen und „Kicker“-Chefredakteur Robert Becker ein vernichtendes Urteil gefällt: „Der deutsche Fußball ist auf ein provinzielles Niveau abgesunken.“
Erst der Boss, dann der Hammer
Bundestrainer Sepp Herberger hatte damit begonnen, die Weltmeisterelf auf vielen Positionen umzubauen, doch auf zwei bewährte Oldies mochte er nicht verzichten: Fritz Walter, der im November 1956 seinen Rücktritt erklärt hatte, überredete er zum Comeback. Und „Boss“ Helmut Rahn, der aus dem Kader geflogen war, weil er unter Alkoholeinfluss einen Autounfall verursacht hatte und zu 14 Tagen Gefängnis verurteilt worden war, wurde begnadigt und durfte wieder im DFB-Dress spielen, wo er sich torgefährlich wie eh und je zeigte.
Im Viertelfinale gegen Jugoslawien war es denn auch der „Boss“, der auf Rechtsaußen drei Gegenspieler stehen ließ und aus spitzem Winkel ein überraschendes Tor erzielte. Es war zugleich das einzige des Spiels. Zwar hatten die Deutschen in den Gruppenspielen (gegen Argentinien, Tschechoslowakei und Nordirland) nicht geglänzt, aber unverdient war ihr Einzug in die Runde der letzten Vier keineswegs. Sie konnten zufrieden sein. Bis der „Hammer“ zuschlug.
Das Foul an sich war keine große Sache. Sicher, es war eine Revanche-Aktion und der Platzverweis gerechtfertigt. Aber es war weder brutal noch annähernd so spektakulär wie etwa Zindanes Kopfstoß im Finale 2006. Erich Juskowiak, der Mann von Fortuna Düsseldorf, dessen Spitzname sich keineswegs von seiner harten Spielweise, sondern von seiner Schussstärke herleitete, hatte schlicht die Nerven verloren – irritiert von einer ungewohnt lautstarken Kulisse und gefrustet von den Dribbelkünsten seines Gegenspielers Kurt Hamrin. Zur Staatsaffäre wurde der Platzverweis durch die überaus beleidigte Reaktion der deutschen Offiziellen und eines großen Teils der Öffentlichkeit zu Hause.
„Ein mittelmäßiges Volk“
Lang war die Liste deutscher Klagen über Benachteiligungen im Gastgeberland Schweden: Die Partie sei kurzfristig von Stockholm nach Göteborg verlegt worden, weshalb man Mühe hatte, noch ein Quartier zu finden. Organisierte „Einpeitscher“ hätten im Stadion vor dem Anpfiff eine antideutsche Stimmung geschürt. Nicht die Deutschen hätten hart agiert, sondern die Schweden; erst die Verletzung von Fritz Walter durch ein schwedisches Foul habe die beiden späten Gegentore möglich gemacht. Der ungarische (!!) Schiedsrichter István Zsolt habe einseitig gepfiffen und den Deutschen einen klaren Elfmeter verweigert.
Die Kommentare deutscher Journalisten erinnerten zuweilen an Kriegsberichterstattung. „Die deutsche Mannschaft ließ sich tausendfach beleidigen und blieb im Felde“, schrieb die „Welt“. „Was haben wir den Schweden getan? In beiden Weltkriegen hat kein deutscher Soldat schwedischen Boden betreten“, klagte das „Sport-Magazin“. „Ein mittelmäßiges Volk“ sah die „Saar-Zeitung“ in den Schweden, eines, „das sich nie über nationale oder völkische Durchschnittsleistungen erhoben hat und den Hass über uns auskübelte, der nur aus Minderwertigkeitskomplexen kommt.“
Auch die in Buchform gegossenen WM-Rückblicke des Jahres 1958 schäumten. „Die Einpeitscher bliesen zum letzten Sturm. Die maßlos gewordene Leidenschaft warf über das harte, aber doch meist sportlich-faire Spiel düstere Schatten,“ heißt es in einem Werk; (un)passende Fotos zeigen einen Mann mit Megafon, der vor dem Spiel die Schweden-Fans zu „Heja“-Rufen animiert, und einen zweiten, der vor der Tribüne vergnügt seine große Schwedenfahne schwingt. Ein anderes Buch spricht von „versteckten Ressentiments“ und „organisiertem Fanatismus“ (auf schwedischer Seite) sowie von „Einpeitscher-Methoden, die wir noch nie auf anderen Fußballfeldern Europas erlebt haben. (…) Ein vom tobenden Hexenkessel beeinflusster Schiedsrichter war nicht in der Lage, die Wogen zu glätten.“
Die chauvinistischen Ergüsse auf deutscher Seite hatten zweifellos mit unbewältigter Vergangenheit im Verhältnis beider Staaten zu tun. Schweden hatte sich im Zweiten Weltkrieg seine Neutralität durch beträchtliche Zugeständnisse an Nazi-Deutschland gesichert: Truppentransporte durch schwedisches Gebiet waren erlaubt, beträchtliche Mengen Eisenerz ans deutsche Reich geliefert worden. Flüchtlinge hingegen wurden nur sehr restriktiv aufgenommen, deutsche Deserteure überhaupt nicht. Diese Politik änderte sich wesentlich, als sich die deutsche Niederlage abzeichnete; hinterfragt wurde sie allerdings erst sehr viel später. Im konservativen Nachkriegsdeutschland wiederum sah man Schweden voller Misstrauen als ehemaliges Refugium linker Exilanten und Hochburg der Sozialdemokratie, die sich nach 1945 anschickte, die schwedische Gesellschaft zu liberalisieren. Zwischen den Staaten herrschte 1958 keineswegs die spätere Unverkrampftheit.
„Keine Spiele mehr in Schweden“
Freilich: Die vermeintlich deutschfeindliche Stimmung im „Hexenkessel Göteborg“ hatte vor allem aus „Heja“-Rufen bestanden, mit denen das schwedische Publikum traditionell die eigene Nationalmannschaft anfeuerte, wie der „Kicker“ fairerweise feststellte. Zugleich berichtete Herberger-Biograf Jürgen Leinemann vom „lärmenden Auftreten“ bundesdeutscher Fans, die eine „befremdliche Mischung aus Großmäuligkeit und unterschwelliger Angst vor Enttäuschung“ gezeigt hätten.
Echte fremdenfeindliche Aktionen wurden anschließend aus der Bundesrepublik berichtet, wo schwedischen Touristen die Reifen zerstochen und das Tanken verweigert wurde, wo schwedische Musikgruppen ausgeladen und eine schwedische Kinderkapelle bei der Kieler Woche ausgebuht wurde. Beim Aachener Reitturnier holten einige Jugendliche die schwedische Flagge vom Mast. Der spätere Bundestrainer Helmut Schön, 1958 Herbergers Assistent, kommentierte: „Hier war – durch eine angebliche Ungerechtigkeit – ein nationaler Bodensatz aufgerührt worden, der nichts mit Sport zu tun hatte.“
Jahrzehnte später kommentierte die „Süddeutsche Zeitung“ in einem Buch zur WM 1958: „Gleich nach dem Spiel erfolgte ein wütender Aufschrei der deutschen Volksseele. 13 Jahre mühsam gebändigter Chauvinismus und unter dem Mantel des wirtschaftlichen Aufschwungs versteckter Fremdenhass brachen sich Bahn.“
Zu den Wutbürgern gehörte auch DFB-Präsident Peco Bauwens. Er war schon 1954 nach dem WM-Sieg von Bern mit chauvinistischer Rhetorik unangenehm aufgefallen, als er in einer „Sieg-Heil-Rede“ („Süddeutsche Zeitung“) die Endspiel-Elf als „Repräsentanten besten Deutschtums im Ausland“ gefeiert hatte. Auch jetzt, 1958, konnte er sich nicht zurücknehmen. „Wir wurden ein Opfer der Hetze gegen unsere Mannschaft“, grollte er. „Solange ich im DFB mitentscheidend tätig bin, wird es in der nächsten Zeit keine Spiele mehr auf diesem Pflaster in Schweden geben.“ Und an anderer Stelle: „Was hier passiert, grenzt an Volksverhetzung. Nie mehr werden wir dieses Land betreten, nie mehr werden wir gegen Schweden spielen.“ Sprach’s und reiste samt Mannschaft aus Skandinavien ab, ohne wie vorgesehen am Abschlussbankett des Turniers teilzunehmen.
Doch wer rausgeht, muss auch wieder reinkommen. Für die Qualifikation zur WM 1966 wurde dem DFB-Team als Gegner ausgerechnet Schweden zugelost.
Bei diesem Text handelt es sich um die leicht überarbeitete Fassung eines Beitrags aus dem „Goldenen Buch der Fußball-Weltmeisterschaft“, 2014 erschienen im Verlag Die Werkstatt.
Bernd Beyer
WM 1962 und 1966 – Afrika im Abseits
Dass es heutzutage normal ist, dass eine Reihe afrikanischer Teams an den WM-Endrunden teilnehmen, ist einer Entwicklung geschuldet, die erst in den 1960er Jahren begann. Den Durchbruch brachte ein Boykott der WM 1966.
Vorgeschichte
Seit ihrer Premiere waren die Endrunden-Turniere der WM vor allem eine Angelegenheit der Fußball-Hochburgen Europa und Südamerika. 1930 in Uruguay war die Zahl der Interessenten überschaubar, jeder Nationalverband, der wollte, durfte kommen. Viele Europäer, denen die Anreise zu beschwerlich schien, glänzten durch freiwilliges Fernbleiben, und so blieb es die bisher einzige Endrunde, in der mehr südamerikanische (7) als europäische (4) Mannschaften antraten. Hinzu kamen zwei Teams aus der Mitte und dem Norden Amerikas.
Umgekehrt erschienen zur zweiten Auflage, 1934 in Italien, nur zwei Mannschaften aus Südamerika, dafür 12 aus Europa. 32 Länder hatten sich gemeldet, es gab Kontinent-bezogene Qualifikationsrunden. Die wurden in Südamerika allerdings zur Farce, weil letztlich eben nur zwei Mannschaften antraten und kampflos nach Italien fahren konnten. In der kombinierten Afrika/Asien-Gruppe setzte sich Ägypten gegen das Team Palästinas durch (das aus jüdischen Spielern bestand). Mehr Bewerber gab es dort nicht.
Noch ungleichgewichtiger gestaltete sich das Turnier von 1938 in Paris. Die südamerikanischen Verbände waren erzürnt darüber, dass die FIFA die Endrunde erneut in ein europäisches Land, Frankreich, gelegt hatte. Nach und nach verzichteten alle Südamerikaner, bis auf Brasilien. Ansonsten bewarben sich außerhalb Europas nur noch Kuba und Niederländisch-Indien, die somit kampflos qualifiziert waren. 13 der 16 Endrundenteilnehmer kamen also aus Europa, allerdings konnte Österreich nicht mehr antreten, weil es nicht mehr existierte.
1950 wollte überhaupt keine Mannschaft aus Asien oder Afrika teilnehmen, beide Kontinente wurden von Bürgerkriegen oder Aufständen gegen das Kolonialsystem erschüttert. So kamen die Teilnehmer ausschließlich aus Europa und Amerika. Erst 1954 gab es einen globalen Qualifikations-Wettbewerb, der seinen Namen halbwegs verdiente. Allerdings musste sich der einzige afrikanische Teilnehmer, Ägypten, noch mit einem europäischen Vertreter, Italien, messen, so dass am Ende wieder kein Afrika-Vertreter teilnahm. Immerhin war für Asien eine eigene Quali-Gruppe und damit ein fester Teilnehmer angesetzt; so kam Südkorea zu seiner WM-Premiere.
1958 wurde in dieser Hinsicht ein Rückschritt, denn für Asien/Afrika zusammen war nur ein einziger Platz unter 16 Teilnehmern vorgesehen. Die Qualifikationsspiele dort waren von politischen Querelen überschattet: Taiwan mochte nicht gegen die Volksrepublik China antreten, Zypern durfte auf Geheiß der britischen Behörden nicht zum Gegner Ägypten reisen, und kein einziges islamisches Land wollte gegen Israel spielen. Die Israelis wären kampflos nach Schweden gekommen, doch die FIFA verlangte Qualifikationsspiele gegen Wales, die von den Briten gewonnen wurden. So fand die Endrunde wieder ohne afrikanische oder asiatische Vertreter statt, dafür erneut mit 12 europäischen.
1962: Afrika meldet sich
Lange Zeit war Ägypten das einzige afrikanische Land gewesen, das eine gewisse Fußball-Infrastruktur vorweisen konnte. Nachdem immer mehr afrikanische Staaten ihre Unabhängigkeit erkämpft und nationale Regierungen etabliert hatten, ändert sich das Bild. Zur WM 1962 meldeten sich Tunesien (unabhängig seit 1956), Marokko (seit 1956), Sudan (seit 1956), Ghana (seit 1957) und Nigeria (seit 1960). Doch die FIFA honorierte diese Entwicklung nicht. Für Afrika gab es keinen einzigen festen Platz in der Endrunde, vielmehr musste der siegreiche Afrika-Vertreter noch gegen ein europäisches Team antreten; Marokko verlor gegen Spanien. Ähnlich verfuhr die FIFA in Asien, wo Südkorea gegen Jugoslawien den Kürzeren zog. So waren am Ende erneut ausschließlich Mannschaften aus Europa (10), Südamerika (5) sowie Nord- und Mittelamerika (1) beim Turnier in Chile vertreten.
Die FIFA-Granden begründeten ihre starre Haltung damit, dass nur die sportlich stärksten Teams bei der WM-Endrunde mitmischen sollten. Doch so „rückständig“ waren manche afrikanischen Fußballnationen gar nicht. Marokko verlor die beiden Qualifikationsspiele gegen das starke Spanien nur sehr knapp, mit 0:1 und 2:3. Und zweifellos hätte sich eine WM-Teilnahme positiv auf die fußballerische Entwicklung in Afrika und Asien – wo immerhin die Mehrheit der Weltbevölkerung lebte – ausgewirkt. Möglicherweise war genau das aber nicht erwünscht.
Im Hintergrund spielte sicherlich eine eurozentristische, post-koloniale Haltung führender FIFA-Funktionäre eine Rolle. Fußball galt zu allererst als englisches, dann britisches, schließlich europäisches Spiel. Seit ihrer Gründung wurde der internationale Fußballverband ausschließlich von Europäern geführt, ab 1955 von Engländern. Der aktuelle Präsident, Sir Stanley Rous, galt als besonders ausgeprägter Eurozentriker mit rassistischem Einschlag. Beim Apartheid-Staat Südafrika bevorzugte er den „rein weißen“ Verband FASA (Football Association of South Africa) für eine FIFA-Mitgliedschaft, nicht aber den multiethnischen SASF (South African Soccer Federation), dem er „kommunistische“ Neigungen unterstellte.
Diese arrogante Haltung spiegelte sich auch im Umgang gegenüber den amerikanischen Verbänden. In Amerika hatten europäische Einwanderer die einheimische Bevölkerung weitgehend vernichtet oder verdrängt, daher sah man die Fußballnationen dort sozusagen als europäische Filialen in Übersee, als verstreute Verwandte, mit denen man zurückhaltenden Umgang pflegte. Schwarze Kicker in Brasilien, Nachfahren eingeschleppter Sklaven, galten dagegen lediglich als talentierte Exoten; in einem Funktionärsamt waren sie nicht vorstellbar, auch nicht in den Augen der brasilianischen Verbandsführung selbst.
In Afrika und Asien sah dies anders aus. Dort entstanden immer mehr Nationalteams, in denen keine Spieler europäischer Abstammung spielten, sondern eben Afrikaner oder Asiaten. Das Gleiche galt für die Funktionäre. Der Prozess fortschreitender Dekolonialisierung, der sich darin ausdrückte, war für ein Commonwealth-Geschöpf wie Sir Stanley Rous offenbar nur schwer zu akzeptieren, und soweit es ging, hielt man die Neulinge auf Abstand.
1966: Afrikanischer Boykott
Als Mitte 1964 der FIFA-Kongress tagte, wurden 23 afrikanische Länder neu aufgenommen. Mittlerweile existierten in Afrika bereits 35 nationale Fußballverbände, zwei mehr als in Europa. In Asien waren es immerhin 30. Die Machtverhältnisse innerhalb des Weltverbandes begannen sich allmählich zu verschieben. Ein Beispiel dafür ist der Beschluss auf dem FIFA-Kongress, die Mitgliedschaft des Apartheid-Landes Südafrika zu suspendieren und seine Kicker somit auch von der WM auszuschließen.
Zur bevorstehenden WM 1966 in England meldeten sich nicht weniger als 15 afrikanische Länder: Algerien, Ägypten, Äthiopien, Gabun, Ghana, Guinea, Kamerun, Liberia, Libyen, Mali, Marokko, Nigeria, Senegal, Sudan und Tunesien. Beim Qualifikationsverfahren konnte sich allerdings noch einmal das FIFA-Establishment in Gestalt des WM-Organisationskomitees durchsetzen, das die Spielregeln bereits vor dem 1964er Kongress festgelegt hatte: Unter den 16 Endrunden-Teilnehmern, so sein Plan, war wieder nur ein einziger Platz für sämtliche Bewerber aus Afrika, Asien und Ozeanien vorgesehen.
Aus Afrika gab es Proteste und Boykott-Drohungen, doch die FIFA-Führung blieb stur. Nun hatten die Afrikaner genug. Nach und nach zogen sämtliche gemeldeten Verbände ihre Teilnahme zurück. Von den Bewerbern außerhalb Europas und Amerikas blieben nur noch Nordkorea und Australien übrig. In den Qualifikationsspielen setzte sich Nordkorea durch, durfte nach England fahren und sorgte dort für eine Sensation, weil es in der Vorrunde Italien besiegte und aus dem Turnier warf.
Der Eklat um die benachteiligten afrikanischen Verbände war übrigens im europäischen Fußball kein großes Thema. In den Medien wurde es lediglich am Rande vermerkt, auch der „Kicker“ brachte nicht mehr als eine lapidare, unkommentierte Meldung, dass die afrikanischen Verbände ihre Anmeldung zurückgezogen hätten. In einem WM-Rückblick des renommierten „Sportinformationsdienstes“ (sid) hieß es über die „geschlossene Front“ der Afrikaner, sie habe „allerdings sportlich nicht die geringste Bedeutung“.
Torschützenkönig des Turniers von 1966 wurde mit neun Treffern übrigens Eusebio, geboren in Portugiesisch-Ostafrika, heute Mozambique. Er verstärkte die Nationalelf, die für die Kolonialmacht seines Geburtslandes antrat, Portugal, und wurde mit ihr WM-Dritter.
Der afrikanische Boykott zeigte eine gewisse Wirkung. Bei den folgenden Turnieren erhielten Afrika und Asien/Ozeanien jeweils einen festen Startplatz zugeschrieben. Wenig genug. Erst die Erweiterung des Teilnehmerfeldes auf zunächst 24, später 32 Mannschaften verschaffte ihnen mehr Raum. Mittlerweile sind es jeweils fünf Teams aus Afrika sowie aus Asien/Ozeanien, die zur Endrunde fahren dürfen.
Bernd Beyer
WM 1970 – Emanuel Schaffers langer Weg
Die WM-Endrunde 1970, die vor 50 Jahren in Mexiko stattfand, war die erste bisher einzige, an der Israel teilnehmen konnte. Mitverantwortlich für die erfolgreiche Qualifikation war auch das Wirken ihres legendären Trainers Emanuel Schaffer.
Boykottaktionen gegen Israel
Die politischen Konfrontationen zwischen dem jungen jüdischen Staat und den islamisch geprägten Nachbarländern hatten nach 1945 auch den Fußball überschattet und bei den WM-Qualifikationsrunden zu oftmals abstrusen Situationen geführt. 1958 hatten sich sämtliche Gegner aus dem asiatischen und arabischen Raum geweigert, gegen Israel anzutreten, weshalb die Nivchéret zu zwei Entscheidungsspielen gegen Wales antreten musste, in denen sie ausschied. 1962 kreierte die FIFA eine eigene Minigruppe mit Zypern und Äthiopien, in der sich Israel zwar durchsetzte, danach aber gegen das übermächtige Italien antreten musste. Vier Jahre später wurde das Land – wie bereits 1954 – einer europäischen Qualifikationsgruppe zugeschlagen, in der es in vier Spielen vier Niederlagen kassierte.
Für das Turnier 1970 wiederum kamen die Qualifikationsgegner aus Ozeanien. Gegen Neuseeland sowie Australien konnten die Israelis sich tatsächlich durchsetzen, während sie vier Jahre später, nun abgeordnet zu einem fernöstlichen Ausscheidungsturnier in Seoul, an Südkorea scheiterten. Als danach der asiatische Fußballverband auf Betreiben verschiedener arabischer Nationalverbände Israel endgültig von seinen Wettbewerben ausschloss, orientierten sich die geächteten jüdischen Fußballer Richtung Europa. Seither kicken sie unter den Fittichen der UEFA.
Für die hehre Idee eines völkerverbindenden Fußballs, der religiöse und ethnische Schranken umdribbeln soll, sind diese Vorgänge nicht gerade ein überzeugender Beweis. Aber es gibt noch eine andere Geschichte, und die erzählt das Leben des Emanuel Schaffer, jenes jüdischen Nationaltrainers, der im Jahr 1970 seine Nivchéret nach zur WM-Endrunde in Mexiko führte.
Recklinghausen – Galizien – Kasachstan – Israel
Schaffer wurde 1923 im polnischen Drohobycz geboren, einem kleinen galizischen „Shetl“, in dem fast die Hälfte der Bevölkerung jüdisch war. Noch in seinem Geburtsjahr übersiedelte die Familie ins Ruhrgebiet, zunächst nach Marl, dann nach Recklinghausen, wo Schaffer deutschsprachig und in bürgerlichen Verhältnissen aufwuchs. „Eddy“, wie ihn seine deutschen Freunde riefen, war schon als Junge fußballverrückt.
Nach der Machtübernahme der Nazis und angesichts antisemitischer Repressionen in Recklinghausen emigrierten die Schaffers zunächst ins französische Metz, dann ins (noch nicht deutsche) Saarland und kehrten schließlich nach Drohobycz zurück. Emanuel besuchte dort eine Mittelschule und trat einem jüdischen Fußballverein bei. Die galizische Heimat der Schaffers geriet 1939 aufgrund des Hitler-Stalin-Paktes in den sowjetischen Machtbereich. Als die deutsche Wehrmacht zwei Jahre später ihr „Unternehmen Barbarossa“ begann und auch Drohobycz zu überrollen drohte, beschloss der nun 18-jährige Emanuel, gemeinsam mit anderen Jugendlichen nach Osten zu fliehen. Auf abenteuerlichen Wegen gelangte er über Aserbaidschan schließlich bis Kasachstan, wo er in einem Arbeitslager für Flüchtlinge landete. Dort blieb er bis Kriegsende und spielte, wie er dem israelischen Historiker Moshe Zimmermann erzählte, Fußball in der Lagermannschaft. In dieser Zeit erreichte ihn die Nachricht, dass die Nazis seine Familie – Eltern und drei Schwestern – in ein Ghetto geschafft und ermordet hatten. Auf welche Art dies geschehen war, konnte er auch später nicht mehr ermitteln.
Nach dem Kriegsende wurde Schaffer in Schlesien angesiedelt, in Bielawa nahe Breslau, wo er sich wieder einem jüdischen Fußballverein anschließen konnte und sein Talent bewies: Als einziger Jude wurde er in die niederschlesische Auswahl berufen. Seine Karriere endete vorerst, als die stalinistische Regierung das jüdische Vereinswesen verbot. Schaffer beschloss, nach Israel auszuwandern. Bevor ihn ein Einberufungsbefehl zur polnischen Armee erreichte, gelang ihm die Flucht über Tschechoslowakei, Österreich und Italien in den Nahen Osten. Dort spielte er für den Erstligisten Hapoel Hafen Haifa und schaffte es in die Reserve-Nationalelf. Mit 31 Jahren begann er eine Karriere als Trainer.
Bis zu diesem Zeitpunkt handelte es sich bei Schaffer, wie Zimmermann anmerkt, „um die exemplarische Fußballerkarriere eines Diasporajuden, der das Zeitalter der Lager und der Shoah bewusst erlebt und sich am Ende für die zionistische Lösung entschied“. Bemerkenswert war, was dann geschah. Schaffer beschloss, seine Trainerausbildung ausgerechnet in dem Land zu absolvieren, aus dem die Mörder seiner Familie stammten. Damals gab es nur vereinzelte Kontakte zwischen deutschen und israelischen Institutionen; bis 1956 trugen israelische Reisepässe auf der ersten Seite noch den Stempel „Alle Länder – mit Ausnahme Deutschlands“.
Doch Schaffer, der gut Deutsch sprach, war der Überzeugung, dass er seine Fußballkenntnisse im Land des 54er Überraschungsweltmeisters am besten erweitern könnte. 1958 kam er an die Sporthochschule Köln zu einem knapp einjährigen Lehrgang, der von Hennes Weisweiler geleitet wurde. Mit ihm schloss Schaffer eine Freundschaft, die jahrzehntelang halten sollte. Fortan wurde Schaffer „zum Verbindungsmann zwischen dem deutschen und israelischen Fußball“ (Zimmermann) und zum Pionier einer im Sport begründeten Verständigung.
„Das Tor stand in Richtung Jerusalem“
Am 12. August 1969, Schaffer war inzwischen Nationaltrainer, trat erstmals eine israelische Nationalmannschaft in Deutschland an und wurde von Weisweilers „Fohlenelf“ mit 3:0 besiegt. Die beiden Freunde hatten diese historische Begegnung arrangiert. Wenige Monate vor dem WM-Turnier in Mexiko, im Februar 1970, kam Borussia Mönchengladbach als erste deutsche Mannschaft zum Gegenbesuch nach Israel – ein Vorgang, der dort schon deshalb honoriert wurde, weil das Land und seine Besucher seinerzeit massiv von Terroraktionen bedroht waren. Aus Sicherheitsgründen reisten die Gladbacher in einer Bundeswehrmaschine an, an der die Hoheitszeichen überklebt worden waren. Diesmal besiegten Netzer und Co. ihre Gastgeber sogar mit 6:0 und wurden für ihre berauschende Spielweise, wie sich der dreifache Torschütze Herbert Laumen erinnert, „mit stehenden Ovationen verabschiedet“.
Dies war der Beginn eines intensiven Sportaustauschs zwischen beiden Ländern. Hunderte Begegnungen zwischen deutschen und israelischen Mannschaften haben seitdem stattgefunden, allein Mönchengladbach bestritt 24 Testspiele gegen israelische Teams und verpflichtete mit Shmuel Rosenthal den ersten israelischen Profi in der Bundesliga. Viele der rund hundert Städtepartnerschaften zwischen beiden Ländern haben ihren Ursprung in diesen sportlichen Begegnungen.
Trotz der Klatschen gegen die „Fohlen“ verfügte Israel damals durchaus über eine starke Nationalelf. Schaffer hatte sie 1968 bereits zum olympischen Fußballturnier geführt (dazu reichten zwei Siege gegen Ceylon; die übrigen Qualifikationsgegner Iran, Indien und Burma boykottierten Israel) und dort nur knapp das Halbfinale verpasst. Den größten Teil seiner Spieler kannte Schaffer bereits aus seiner erfolgreichen Zeit als Trainer der Jugend-Nationalmannschaft, mit der er dreimal Asienmeister geworden war.
Beim WM-Turnier in Mexiko schlug sich die Nivchéret achtbar, verlor zwar gegen den späteren WM-Vierten Uruguay mit 0:2, holte aber gegen die starken Italiener und Schweden jeweils ein Unentschieden. Beim 1:1 gegen Schweden erzielte Spielmacher Mordechai Spiegler den bisher einzigen Treffer in Israels WM-Geschichte. „Es waren 25 Meter, ein starker Rückenwird, und das Tor muss in Richtung Jerusalem gestanden haben“, ulkte Spiegler. Der Torschütze avancierte zum Nationalheros, bezeichnete aber seinen Trainer als „wahren Vater unseres Erfolgs“. Israels WM-Teilnahme 1970 wird in ihrer Wirkung auf das Selbstwertgefühl des jungen Staates zuweilen mit dem bundesdeutschen „Wunder von Bern“ verglichen.
Schaffer blieb eine geachtete Persönlichkeit in Israel und trainierte die Nationalelf nochmals von 1978 bis 1980, ohne die großen Erfolge wiederholen zu können. Danach reüssierte er als Geschäftsmann, um sich 1990 als 67-Jähriger ins Privatleben zurückzuziehen. Am 30. Dezember 2012 ist er kurz vor seinem 90. Geburtstag gestorben. Bei der Beerdigung sagte Avi Luzon, der Präsident des israelischen Fußballverbands, über Schaffer: „Er war der größte Trainer, den wir je hatten.“
Zur Person Emanuel Schaffer erscheint zum Frühjahr 2021 im Verlag Die Werkstatt eine Biographie von Lorenz Pfeiffer und Moshe Zimmermann, die der Autor dieses Textes dankenswerterweise bereits einsehen konnte
Bernd Beyer
WM 1974 und 2006 – Schwarz-rot-goldene Gastgeber
Die WM-Turniere 1974 und 2006 fanden in der Bundesrepublik Deutschland statt. Die politischen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen unterschieden sich bei diesen Turnieren gewaltig. Und auch vom Augenschein her war es komplett anders: Während es 1974 außerhalb der Stadien kaum größere Menschenansammlungen gab, bei denen die Begegnungen gemeinsam verfolgt wurden, schon gar nicht in Nationaltracht – den Begriff „Public Viewing“ gab es noch nicht –, so schien 2006 das ganze Land in schwarz-rot-goldene Feierlaune getaucht zu sein. Was steckt hinter diesen Unterschieden?
Ein Gentleman und ein Rebell
Dem WM-Sieg von Bern 1954 wird in der historischen Forschung eine stark identitätsstiftende Wirkung zugeschrieben. Das durch Faschismus, Holocaust und Weltkrieg schuldbeladene Land hatte von den West-Alliierten ein Demokratieprogramm verordnet bekommen, das zusammen mit dem wirtschaftlichen Aufschwung eine gewisse Normalität herbeigeführt hatte. Doch es war eine „synthetische Demokratie“, die die Herzen ihrer Bürgerinnen und Bürger nicht unbedingt erreichte. Der WM-Titelgewinn 1954, so der Zeithistoriker Arthur Heinrich, „trug erheblich dazu bei, dass die Demokratie von den Westdeutschen angenommen wurde. Das Wunder von Bern war ein Wunder zur rechten Zeit.“
Dieser Identifikationsprozess bildete die Voraussetzung, sich die Demokratie zu eigen zu machen und „schließlich deren Liberalisierung in Angriff zu nehmen“ (Heinrich). Zwei Jahrzehnte später waren die Früchte dieser Liberalisierung auch in der Fußball-Nationalmannschaft zu bewundern. Als Bundestrainer fungierte nicht mehr der autoritäre Sepp Herberger, sondern der liberale Helmut Schön, und auf dem Platz stand nicht eine (auf den Trainerwillen) eingeschworene Elf-Freunde-Gemeinschaft, sondern elf Individualisten, die sich für 90 Minuten zum gemeinsamem „Teamwork“ zusammenfanden.
Am deutlichsten wurde dies beim Gewinn der Europameisterschaft 1972, als die Mannschaft einen mitreißend ästhetischen Fußball zelebrierte, bei dem der „Gentleman am Ball“ Franz Beckenbauer und der „Rebell am Ball“ Günter Netzer den Taktstock schwangen. (Die beiden Bezeichnungen sind zeitgenössische Buchtitel über die beiden.)
Im gleichen Sommer 1972 begannen in München die (so angekündigten) „heiteren“ Olympischen Spiele. Mit Olympia und der WM 1974 waren der Bundesrepublik erstmals nach Krieg und Faschismus wieder große Sportereignisse zugesprochen worden, was auch einen politischen Durchbruch bedeutete. Im Zeichen der Brandt’schen Entspannungspolitik und in bewusster Abgrenzung zu den martialischen Spielen von 1936 wollte sich das Gastgeberland in olympischer Architektur und Organisation entspannt, demokratisch und weltoffen präsentieren. Das gelang weitgehend – bis der Überfall palästinensischer Terroristen die „heiteren Spiele“ jäh beendete. Bei der WM 1974 sah die Bundesregierung ihre Gastgeberrolle dann vor allem darin, ihre Gäste vor neuerlichen Terrorakten zu schützen. Polizei war allgegenwärtig.
1974: Der „Geist von Malente“
Sportlich allerdings erwartete ein großer Teil des westdeutschen Fußballvolks bei der WM sowohl den Titelgewinn wie auch eine Fortsetzung der begeisternden Gala-Vorstellungen von 1972. Diese Haltung artikulierte sich als Forderung an die Mannschaft; es war die Erwartung eines Konsumenten und keine Angelegenheit, bei der Spieler und Fans in einem Boot saßen. Man sah den Titelgewinn nicht als politisches Prestigeprojekt. Besonders kühne (und meist junge) Geister favorisierten statt der DFB-Elf sogar die hippen Holländer um Johan Cruyff oder die Samba-Kicker aus Brasilien.
Entsprechend nörgelig war zunächst die Stimmung bei den ersten Spielen auf den Rängen, als es keine Zaubereien à la 1972 zu sehen gab. Nur 1:0 beim Auftakt gegen Chile? Pfeifkonzert! (und auf den Rängen wenig Schwarz-rot-gold, dafür Transparente gegen die faschistische Junta in Chile). Nur 2:0 gegen Australien in Hamburg? Pfeifkonzert! (und ein wütender Beckenbauer, der beleidigt Richtung Publikum rotzt). Die 0:1-Niederlage gegen die DDR? Natürlich Pfeifkonzert.
Zur Distanz gegenüber der Mannschaft hatten eine ganze Reihe von Faktoren beigetragen. Da war der Bundesliga-Skandal, der nur wenige Jahre zurücklag und den gesamten deutschen Profifußball diskreditiert hatte. Da waren die Äußerungen von Leistungsträger wie Beckenbauer, Breitner oder Netzer, die trocken wissen ließen, man spiele doch nicht für den Adler auf der Brust, sondern jeder für sich selbst. Ans Mitsingen der Nationalhymne dachte eh niemand.
Auch herrschte im Trainingslager Malente ein ganz anderer Geist als der mythische „Geist von Spiez“ anno 1954. Vielmehr moserte man über die strenge Kasernierung und feilschte derart kräftig um eine (durchaus angemessene) Siegprämie, dass der entnervte Helmut Schön mit Abreise drohte. Die betont individualistische und hedonistische Haltung der Profis passte zur politischen Landschaft der Bundesrepublik, wo die erste Euphorie der sozialliberalen Reformpolitik einer gewissen Ernüchterung gewichen war und statt des Visionärs Willy Brandt nun der „Macher“ Helmut Schmidt regierte (den Fußball sowieso nicht interessierte). Aber in den Medien und bei den Zuschauern kam diese Haltung nicht gut an.
Das änderte sich erst, als Schön und Beckenbauer nach dem Debakel gegen die DDR den Spielstil der Mannschaft änderten. Statt siegesbewusster Lässigkeit – die allerdings eher pomadig gewirkt hatte – setzte man nun auf Kampfkraft und verstärkte Defensive. „Terrier“ Berti Vogts wurde zur neuen Leitfigur. So erreichte man wieder den Schulterschluss mit den Rängen: Wenn schon nicht „schön“ gespielt wurde, dann wurde wenigstens gekämpft. Dass man damit Weltmeister wurde, lag zwar wesentlich an der Dusseligkeit der Holländer. Die waren eigentlich besser. Aber sie hatten eben „nicht richtig gekämpft“.
Die Haltung des Publikums definierte sich nicht über seinen Patriotismus, sondern über sein Verhältnis zu den Spielern und deren Auftritten. Der Titelgewinn war ein sportliches Projekt, kein nationales. Helmut Schmidt wäre es nicht im Traum eingefallen, die siegreichen Spieler in ihrer Kabine aufzusuchen. Diese Haltung unterstrich auch die Berichterstattung in den Medien. Von „wir“ und „unser“ war in den Zeitungen nicht die Rede, wenn über die DFB-Elf gesprochen wurde, fand eine spätere Studie heraus. Lediglich die „Bild“ tobte nach der Niederlage gegen die DDR von einer „Blamage“, nachdem sie selbst zuvor die Begegnung zum innerdeutschen Kulturkampf ausgerufen hatte. Damit stand sie ziemlich alleine, nur beim Spiel selbst brüllten manche Anhänger das „Deutschland“-Stakkato besonders laut. Dieser auch bei anderen Spielen übliche Anfeuerungsruf wirkte gegen die DDR „wie ein zum Schlachtruf gewordener Alleinvertretungsanspruch“ („SZ“). Nach Sparwassers Tor wurde es dann merklich leiser.
Ansonsten befand die „FR“ seinerzeit: „Nationalistische oder gar chauvinistische Unmäßigkeit war selten.“ Und die Historikerin Christiane Eisenberg resümierte: „Vor dem Hintergrund der Entspannungspolitik (…) waren nationalistische Äußerungen jeder Art verpönt. Ebenso wie das Publikum eine dem Finale vorangehende Niederlage gegen die DDR klaglos hinnahm, entfachte auch der glückliche Titelgewinn keine Leidenschaften.“
2006: Party-Patriotismus?
Man mag sich kaum ausmalen, welche Leidenschaften ein Titelgewinn 32 Jahre später entfacht hätte, wo doch schon der dritte Platz einen Jubelorkan auslöste. Allerdings galt Klinsmanns Team vor dem Turnier nicht als heißer Titelkandidat. Vielmehr fürchtete man nach dem blamablen Abschneiden bei der EM zwei Jahre zuvor nichts mehr als eine neuerliche Pleite.
Die Voraussetzungen beim Turnier 2006 unterschieden sich nicht nur sportlich wesentlich von 1974. Deutschland war jetzt wiedervereint und galt international nicht nur wirtschaftlich als Macht, sondern auch politisch. Der Anschluss der DDR hatte nationale Emotionen mobilisiert, die im Ausland gewisse Besorgnisse auslösten. Diese wurden verstärkt durch eine Reihe fremdenfeindlicher Ausschreitungen. Den Vorbehalten versuchte die Bundesregierung auf internationalem Parkett mit verbaler Zurückhaltung und einer Charme-Offensive entgegenzuwirken. Und dafür wurde auch der Sport eingespannt.
Fußball, Politik und Wirtschaft, die „Deutschland AG“, gingen mit der WM ein Bündnis ein, für das wesentlich die Fußballfreunde Schröder und Fischer standen, also Kanzler und Außenminister, nebst dem weltweit populären Kaiser Beckenbauer. Das Turnier sollte die neue Berliner Republik global präsentieren, mit einem sympathischen Gesicht, das sich auch im WM-Motto ausdrückte: „Die Welt zu Gast bei Freunden.“
Die politische Zwiespältigkeit bildete sich auch unter den Fans ab. Kaum jemand konnte sich der schwarz-rot-goldenen Euphorie entziehen, die von den Fanmeilen ausging und gesamtdeutsch ins letzte thüringische Dorf schwappte. Eine gewaltige Einheitsfeier, die – unter anderen Voraussetzungen – ein wenig an die Gefühlslage nach dem „Wunder von Bern“ erinnerte. Neuentdeckter Patriotismus spielte dabei sicherlich ebenso eine Rolle wie der Wunsch, sich der Welt als guter Gastgeber mit einem gelungenen Fußballfest zu präsentieren. Dieses Mal war das Turnier tatsächlich ein nationales Projekt, in das sich die Fans aktiv eingebunden sahen. Der Erfolg der eigenen Mannschaft war dabei zwar nicht nebensächlich, aber deutlich weniger wichtig als 1974. Selbst knappe Vorrunden-Siege – wie das 1:0 gegen Polen – lösten gewaltige Euphoriewellen aus. 32 Jahre zuvor hätte man sie eher mürrisch zur Kenntnis genommen.
Seither rätseln Sozialwissenschaftler darüber, ob die massenhafte Präsenz nationaler Symbolik bei diesem und späteren Turnieren auf politische Normalität hindeutet, auf einen „unverkrampften Patriotismus“, oder eher auf einen unangenehmen Nationalismus. Für den Münsteraner Sportwissenschaftler Dieter Jütting ist die Sache klar: „Dies Phänomen wurde (2006) von einigen politischen Beobachtern und Politikern nach dem bekannten Rechts-Links-Schema falsch gedeutet. Es auch in relativierender Weise mit einem neuen Nationalismus oder einem Nationalismus light in Verbindung zu bringen, halten wir für fraglich. Vielmehr gehört es in eine um den Fußball herum inszenierte Sekundärwelt der imaginären Stellvertretung und projektionsgeleiteten Identifikation mit der kämpfenden Mannschaft.“
Soll wohl sagen: Man will einfach zeigen, dass man zu seiner Mannschaft hält. So, wie der Schalker Fan sich in Königsblau einhüllt.
Andere sind da deutlich skeptischer. Die Berliner Sozialpsychologin Dagmar Schediwy befragte bei den WM-Turnieren 2006 und 2010 sowie bei der EM 2008 die Teilnehmer*innen von Fanmeilen. Ergebnis laut „SZ“: „Motive der Fans seien ausdrücklich Vaterlandsliebe und Nationalstolz, der Sport selbst landete eher auf dem hinteren Platz.“ Und für den Bielefelder Soziologen Wilhelm Heitmeyer ist der deutsche „Party-Patriotismus“ „nichts anderes als Nationalismus“. Die Bielefelder Forscher veröffentlichten schon 2006 zusammen mit Marburger Kollegen eine Studie, die bewies, dass die Fremdenfeindlichkeit in Deutschland nach der WM nicht geringer war als zuvor. „Vielleicht war die Welt während der Weltmeisterschaft tatsächlich zu Gast bei Freunden“, erläuterte Heitmeyer. „Aber danach war es damit wieder vorbei.“
Schediwys zeitlich übergreifende Studie zeigt das eigentliche Problem: Mit der Zeit, so stellte die Forscherin fest, „empfanden die Fans gerade den Nationalstolz zunehmend als natürlich.“ Aus einer gruppendynamischen Laune heraus wird das Gesicht schwarz-rot-gold geschminkt. Mit der Zeit wird es selbstverständlicher, sich national zu gebärden. Und am Ende, beispielsweise in ökonomisch schwierigen Zeiten, wird Nationalstolz zu einem Identitätsanker, der sich gegen „Fremde“ und „Andere“ richtet. Die AfD weiß davon zu profitieren. Das muss nicht sein, ist aber eine große Gefahr, sofern sich Patriotismus nicht bewusst über demokratische, tolerante und liberale Errungenschaften definiert.
Dass Fans anderer Nationalmannschaften sich bei internationalen Turnieren ähnlich präsentieren, kann kein Trost sein. Was soll gut daran sein, dass sportliche Ereignisse immer stärker mit nationaler Symbolik aufgeladen werden – gerade in einer Zeit, in der Nationalismus allenthalben hochkocht?
P.S.
„Ich liebe keine Staaten, ich liebe meine Frau, fertig!“ (Gustav Heinemann, Bundespräsident 1969 bis 1974)
„Sie haben in Ihrer Antrittsrede gesagt: ‚Ich liebe unser Land.‘ Sind Sie stolz, Deutscher zu sein?“ – „Ja, ich bin stolz auf dieses Land.“ (Horst Köhler, Bundespräsident 2004 bis 2010, in einem Interview mit der „Bild“)
Bernd Beyer
WM 1978 (I) - Buenas noches, Argentina
Bereits am 6. Juli 1966 erteilte die FIFA den Ländern Deutschland (1974), Argentinien (1978) und Spanien (1982) den jeweiligen Zuschlag zur Ausrichtung der Fußball-WM. Acht Tage vor dieser Entscheidung putschte sich das Militär in Argentinien an die Macht und setzte den gewählten Präsidenten Arturo Umberto Illia ab. Diese zeitliche Abfolge fand bislang so gut wie keine öffentliche Beachtung. Doch sie bedeutet, dass zu dem Zeitpunkt, als die WM-Ausrichter der Jahre 1974 bis 1982 festgelegt wurden, in zwei der drei auserwählten Länder eine Militärdiktatur herrschte. Das argentinische Militär hielt sich gut sieben Jahre an der Macht, bevor das Land nicht zuletzt aufgrund heftiger Proteste zur Demokratie zurückkehrte – vorübergehend.
Der Putsch 1976
Der traditionsreiche argentinische Fußball war nach dem Zweiten Weltkrieg international weitgehend erfolglos geblieben; ihm drohte bei der Heim-WM eine Blamage. In dieser Situation verpflichtete der argentinische Fußballverband 1974 César Luis Menotti, einen linken Intellektuellen mit Hang zur Philosophie, dessen Zigarette nie auszugehen schien. Menotti sollte die argentinische Fußballtradition, den schönen Offensivfußball, wiederbeleben. Dies war ihm zuvor als Vereinstrainer mit dem in Buenos Aires angesiedelten Club Atlético Huracán gelungen, mit dem er 1973 den Titel in der Liga Metropolitano holte. „Es war die reinste Freude, sie spielen zu sehen“, hieß es in der argentinischen Tageszeitung „Clarín“. Und so sollte Argentiniens Fußball der Zukunft aussehen. Dafür hatte Menotti nun vier Jahre Zeit.
Währenddessen änderten sich wieder einmal die politischen Verhältnisse in Argentinien. Die 1973 wiederhergestellte Demokratie überstand gerade einmal drei Jahre. Weder dem gewählten Präsidenten Juan Perón, er verstarb 1974 während seiner insgesamt dritten Amtszeit, noch seiner Witwe und Nachfolgerin Isabel Perón gelang es, das Land zu einen – sofern sie es denn überhaupt wollten. Streiks, Demonstrationen und Gewaltaktionen von linksorientierten Guerillagruppen waren an der Tagesordnung. Doch vor allem die von Peróns Sozialminister José López Rega gegründete rechtsorientierte Tripla A (Alianza Anticomunista Argentina) sorgte für Angst und Schrecken in der Bevölkerung. Für ihre vielfachen Morde wurde allerdings niemand zur Rechenschaft gezogen. So kam es, wie es in dem lateinamerikanischen Land schon so oft der Fall war: Das Militär putschte. Unter Führung des Generals Jorge Videla übernahm am 24. März 1976 eine Militärjunta die Macht.
Das bedeutete die Aufkündigung des Sozialpakts und damit verbunden die Rückkehr zu einem Wirtschaftsliberalismus, um das Vertrauen des ausländischen Kapitals wiederherzustellen. Flankiert wurde diese Politik u. a. durch die Aufhebung des Streik- und Demonstrationsrechts, das Verbot vieler Gewerkschaften sowie die offizielle Wiedereinführung der Todesstrafe für sogenannte subversive Aktionen. Die Junta ließ hunderte Gefangenlager und Folterzentren errichten sowie zur Vertuschung von Liquidationen Menschen verschwinden. Bereits im März 1977 spricht der argentinische Schriftsteller Rodolfo Walsh von 15.000 verschwundenen Personen. Diese wurde häufig von den staatlichen Sicherheitskräften zunächst entführt, dann gefoltert und schließlich aus dem Flugzeug über dem offenen Meer abgeworfen.
Der WM-Protest
In der zweiten Jahreshälfte des Jahres 1977 formierte sich in Deutschland der Protest gegen die Fußball-WM in Argentinien. Das heißt, dass sich mitten im „Deutschen Herbst“ Männer und Frauen aus der linken Szene, die in der Öffentlichkeit oftmals pauschal als Sympathisanten des RAF-Terrors betrachtet wurden, erstmals intensiv mit dem Thema Fußball und Politik auseinandersetzten. Getragen wurden die Proteste von bereits bestehenden Lateinamerikagruppen, amnesty International (ai), der Evangelischen Studentengemeinde, den Jusos, aber auch vom Berliner Arbeitersportverein Solidarität und vielen weiteren Initiativen. Die Koordination übernahm die Informationsstelle Lateinamerika (ila) in Bonn. Es wurden Informationen zusammengetragen, Seminare durchgeführt, Broschüren veröffentlicht und u. a. eine Wanderausstellung in 61 Städten gezeigt. Damit sollte vor allem auf die Menschenrechtslage in Argentinien, aber auch auf den Zusammenhang von Fußball und Politik aufmerksam gemacht werden. Aktionen im Zusammenhang mit Bundesligaspielen fanden so gut wie nicht statt.
Das den Protest vereinende Thema lautete: Fußball ja – Folter nein. Das heißt, dass in Deutschland (im Gegensatz beispielweise zu Initiativen in Holland, Schweden und Frankreich) nicht zu einem WM-Boykott aufgerufen wurde. Vielmehr wurden im Rahmen einer Petition ganz konkrete Forderungen an die Bundesregierung gestellt, nämlich die „Aufnahme von mindestens 500 argentinischen politischen Gefangenen (…) bis zur Fußballweltmeisterschaft, freie Ausreisemöglichkeiten für alle in ausländische Botschaften geflüchtete Argentinier, Veröffentlichung einer vollständigen Liste aller politischer Gefangenen durch die argentinische Regierung, unabhängige internationale Untersuchung aller argentinischen Gefängnisse und Konzentrationslager.“
Der Protest der genannten Initiativen war friedlich. Für den 23. Juni 1978, also exakt zwei Tage vor dem WM-Endspiel, plante hingegen der den Revolutionären Zellen nahestehende Hermann Feiling, einen Anschlag auf das argentinische Generalkonsulat in München. Feiling wollte damit auf die Menschenrechtssituation in Argentinien aufmerksam machen. Doch bei einem letzten Funktionstest in seiner Heidelberger Wohnung explodierte der Sprengsatz ungewollt. Feiling zahlte dafür mit dem Verlust des Augenlichts und der Amputation beider Beine. In Frankreich scheiterte der Versuch, Nationaltrainer Michel Hidalgo zu entführen, weil er sich gegen einen französischen WM-Boykott aussprach.
Genauso jedoch scheiterte die Protestbewegung, was die Realisierung ihrer Forderungen anging. Als Erfolg wurde jedoch gewertet, dass die Kampagne dafür sorgte, die „verschleiernde Berichterstattung in Presse, Funk und Fernsehen teilweise zugunsten einer objektiveren Darstellung der argentinischen Verhältnisse (…) (zu) beeinflussen“ (Lateinamerika Nachrichten 62 vom 28.7.1978).
Die Reaktion des DFB und der deutschen Fußballer
Der DFB mit Hermann Neuberger an seiner Spitze stellte sich ausdrücklich hinter die Junta, denn nun gab es endlich „einen Partner mit Durchsetzungsvermögen“. Alles, was nicht dazu passte, wurde weggebissen, so auch das von Dr. Helmut Frenz am 25. Juni 1977 in der ARD verkündete „Wort zum Sonntag“. Frenz kritisierte in seiner Fernsehansprache das völlig passive Verhalten des DFB anlässlich seines Freundschaftsspiels wenige Wochen zuvor in Argentinien. Neuberger wiederum beschwerte sich darüber beim Intendanten des Saarländischen Rundfunks und riet Frenz, eher „die Nähe Gottes zu suchen“ als sich um Dinge zu kümmern, die „völlig an seiner eigentlichen Aufgabe“ vorbeigingen. Frenz wurde im Übrigen vom Intendanten für dessen „pseudochristliche, einäugige Heuchelei“ getadelt.
Kaum anders als ihr Chef äußerten sich die meisten deutschen Kicker vor der WM in einer Umfrage des „Stern“ aus dem April 1978 auf folgende drei Fragen zur Petition von ai: „Haben Sie die Informationen von „Amnesty“ über Argentinien gelesen? Bedrückt es Sie, dass dort gefoltert wird? Sollte der DFB etwas unternehmen?“ Berti Vogts beispielsweise riet amnesty, „erst einmal in den ‚Stern‘ (zu) schauen, was da über russische Lager drinsteht“. Erich Beer vertrat die Auffassung, dass Sport und Politik nichts miteinander zu tun haben, und dass dort gefoltert werde, „belastet mich auf keinen Fall“ (ähnlich äußerte sich Manfred Kaltz). Karl-Heinz Rummenigge schob Neuberger vor, dem keine „Fälle von gefolterten Deutschen bekannt gewesen“ seien.
Von den insgesamt 22 befragten Fußballern erklärten lediglich Rudi Kargus, Bernd Franke, Rudi Seeliger und Herbert Neumann, die ai-Kampagne zu unterstützen. Die Mehrheit der Kicker war eher fürs Raushalten (u.a. Bernard Dietz und Rainer Bonhof). Sepp Maier vertrat die Meinung, dass „man schon was tun“ müsse, aber überzeugt war er davon nicht. Seine Aussage, dass er dem General im Falle eines Falles „nicht die Hand schütteln“ werde, brauchte er bekanntlich nicht in die Tat umsetzen. Lediglich Paul Breitner forderte den DFB zum Handeln auf. In einem Beitrag für den „Stern“ monierte er, dass DFB-Chef Neuberger auch in seiner Funktion als Vizepräsident der FIFA die argentinischen Zustände hätte ansprechen sollen. Diese Auffassung fand der DFB wiederum „unerhört“.
Das Turnier
Die Junta erkannte schnell, welchen Imagegewinn ein ordnungsgemäßer Ablauf der WM bringen würde. Das Organisationskomitee wurde mit eigenen Leuten besetzt, eine US-amerikanische PR-Agentur beauftragt, der Welt ein schönes Argentinienbild vorzugaukeln. Neue Stadien wurden gebaut, mit deutscher Hilfe (AEG-Telefunken, ähnlich wie der DFB hatte die deutsche Industrie nämlich keinerlei Berührungsängste vor dem Militär) das landesweite Farbfernsehen aufgebaut, die Auslandspresse eng betreut, die heimische zensiert. Alles war vorbereitet für ein großes Fußballfest, möglichst mit dem Sieger Argentinien.
Das deutsche Team wusste selten zu überzeugen. Zweimal 0:0 in der Vorrunde und ein 6:0-Erfolg gegen Mexiko reichten fürs Weiterkommen in die zweite Runde. Zwei weiteren Unentschieden (Italien und Niederlande) folgte die Schmach von Córdoba, als der Österreicher Hans Krankl durch sein Tor zum 3:2 die deutsche Elf aus dem Turnier schoss. Für mehr Aufsehen sorgte der Besuch des ehemaligen Fliegeroffiziers und nach Argentinien geflohenen Altnazis Hans-Ulrich Rudel im deutschen Trainingsquartier in Ascochinga, einem abgeschirmten Luftwaffenerholungsheim. Die Kritik, die sich in einigen deutschen Medien daran entzündete, empfand Neuberger als „Beleidigung aller deutschen Soldaten“.
Ins Finale kamen schließlich die beiden besten Teams des Turniers, Argentinien und die Niederlande. Allerdings ist der Finaleinzug der Heimelf bis heute mehr als umstritten. Um die Brasilianer, die ihr letztes Zwischenrundenspiel bereits absolviert hatten, noch zu überflügeln, musste Argentinien gegen bis dahin starke Peruaner mit mindestens vier Toren Unterschied gewinnen. Das klappte letztendlich mit einem 6:0-Erfolg gegen bereits in der ersten Halbzeit völlig einbrechende Peruaner. Was den Ausschlag dafür gegeben hat? Möglicherweise der Besuch der Juntachefs vor dem Spiel in beiden Umkleidekabinen oder eine tonnenschwere Getreidelieferung an Peru. Gustavo Veiga, argentinischer Autor und Journalist stellt fest: „Dieses Spiel wird immer vom Verdacht der Einflussnahme begleitet sein.“
Den Argentiniern war es egal, sie hatten das Minimalziel erreicht und schlugen in einem hart umkämpften Finale die Niederländer mit 3:1 nach Verlängerung. Die Torschreie im Stadion waren sogar im nur 700 Meter entfernt gelegenen Folterzentrum ESMA zu hören. „Argentina, Argentina“, schallte es überall im Land des neuen Weltmeisters, während die Holländer die Teilnahme am Abschlussbankett verweigerten.
Am 25. Juni 1978 konnte die Junta feiern, sie hatte ihr Ziel erreicht. Und was sagte Menotti, der Architekt des Erfolgs, rückblickend dazu? „Es ist sehr grausam, das größte Fest in der Geschichte Argentiniens findet ausgerechnet 1978 während der Diktatur statt“. Eine Diktatur, die mehr als 300 Gefangenenlager und Folterzentren unterhielt und bis zu ihrem Ende im Jahr 1983 rund 30.000 Menschen „verschwinden“ ließ. Wahrscheinlich konnte Berti Vogts deshalb nach dem Turnier sagen: „Ich habe keinen einzigen politischen Gefangenen gesehen.“
Michael Bolten
WM 1978 (II) – Fußball, FIFA, Antisemitismus.
Die Geschichte des Schiedsrichters Abraham Klein
Bei der WM 1978 beeindruckte unter den eingesetzten Schiedsrichtern vor allem der Israeli Abraham Klein mit seiner souveränen Leistung. Dass er nicht das Finale leiten durfte, hat auch mit Antisemitismus zu tun.
Überlebender des Holocaust
Abraham Klein erblickte 1934 im rumänischen Timisoara das Licht der Welt. Die heute ca. 320.000 Einwohner zählende Stadt im Westen Rumäniens wird häufig als schönste des Landes beschrieben. Kleins Erinnerungen an Timisoara sind weniger schön. 1920 zählte die Stadt über 8.000 Bürger jüdischer Abstammung, das waren etwa zehn Prozent der damaligen Bevölkerung. Nach dem Ersten Weltkrieg hatte der Antisemitismus in Timisoara Hochkonjunktur. Im August 1941 wurden alle männlichen Juden zwischen 18 und 50 Jahren in ein Zwangsarbeitslager verfrachtet. Außerdem konfiszierten die Behörden einen Großteil des jüdischen Immobilieneigentums.
Am 17. August 1942 stimmte der rumänische „Staatsführer“ Marshall Ion Antonescu der Deportation der Juden aus Arad, Timisoara und Turda zu. Bis 1943 wurden aus Timisoara 2.888 Menschen verschleppt. 1947 lebten wieder etwa 13.600 Juden in Timisoara, viele von ihnen waren ab 1943 aus Ungarn geflohen.
Aber Timisoaras Juden wurden unter der nun kommunistischen Herrschaft nicht heimisch. Die meisten wanderten nach Israel aus. Heute steht in Timisoara nur noch eine von ehemals sechs Synagogen, die Zahl der Juden beträgt nur wenige hundert.
Ein großer Teil der Familie Abraham Kleins wurde Opfer des Holocausts. Abrahams Vater, der in Budapest für die 2. Mannschaft des stark jüdisch geprägten MTK gespielt hatte, verließ Rumänien 1937. Abraham war damals 13. Er überlebte die Judenverfolgung in einer engen Wohnung – mit seiner Mutter, deren sechs Schwestern und den Großeltern.
1947 wurde Klein mit 500 jüdische Kinder zur Erholung ins niederländische Apeldoorn gebracht. Seither galten seine Sympathien mehr Apeldoorn als seiner Geburtsstadt. Nach einem Jahr ging Klein nach Israel und in ein Kibbuz, anschließend zu seinen Eltern, die nun in Haifa lebten.
Klein, der nicht das fußballerische Talent seines Vaters besaß, wurde Schiedsrichter. 1958 pfiff er in Israel sein erstes Ligaspiel. 1965 seine erste internationale Begegnung, als Israel ein Freundschaftsspiel gegen die Niederlande bestritt. 1965, da war Klein erst 31, leitete er vor 80.000 Zuschauern in Rom das WM-Qualifikationsspiel Italien gegen Polen 1969 war er Schiedsrichter der Begegnung Hapoel Nahariya gegen Bayern Hof, der ersten zwischen Teams aus Israel und der Bundesrepublik Deutschland. Und bei der WM 1970 in Mexiko leitete er das Spiel des Noch-Weltmeisters England gegen den späteren Turniersieger Brasilien. Es war eine der besten Begegnungen des Turniers – auch dank des ausgezeichneten Schiedsrichters. Bei der WM 1974 war Klein nicht dabei. Auf Grund des Attentats auf die israelischen Sportler bei Olympia 1972 in München war die Gefahr zu groß.
Keine Angst vor der Kulisse
1978 fand die WM in Argentinien statt, das seit März 1976 von einer brutalen Militärdiktatur regiert wurde. Was die FIFA begrüßte, weil sie nun, so Organisationschef Hermann Neuberger, mit der Junta „einen Partner mit Durchsetzungsvermögen“ bekommen hätte.
Am 10. Juni traf Gastgeber Argentinien auf Italien. Beide Teams hatten sich bereits für die zweite Finalrunde qualifiziert, aber der Sieger durfte in Buenos Aires bleiben. Zum Entsetzen der Gastgeber behielt Italien vor 77.260 Zuschauern im Estadio Monumental mit 1:0 die Oberhand. Bester Mann auf dem Platz war Abraham Klein, der sich wie immer auf die beiden Mannschaften akribisch vorbereitet hatte. Anders als seine Kollegen bei den vorausgegangen Auftritten der Argentinier, ließ sich Klein weder von der fanatischen Kulisse noch von den offensichtlichen Wünschen der Gastgeber einschüchtern. Für Klein war es das schwierigste Spiel seiner Karriere, zumal er mit zwei Teams zu tun hatte, die gerne Frei- und Strafstöße schindeten und permanent reklamierten. Dem Journalisten Simon Kuper erzählte Klein später: „Ich glaube, dass alle Schiedsrichter fair sind, aber wahrscheinlich sind nicht alle von ihnen tapfer.“
Der nur 1,55 Meter große Klein war allerdings verdammt tapfer. Der renommierte englische WM-Chronist Brian Glanville schrieb später: „Bei dieser Weltmeisterschaft gab es nichts eindrucksvolleres als die Haltung, in der Klein in der Halbzeit der Begegnung Argentinien gegen Italien zwischen seinen Linienrichtern die Pfiffe der aufgebrachten Menge verachtete.“David Lacey schrieb später im „Guardian“, dass Italien eine wunderbar ausgeglichene und abgestimmte Vorstellung geboten hätte. Aber dass die Italiener dazu in der Lage waren und das Feld als Sieger verlassen durften, sei zu einem großen Teil „Abraham Klein aus Israel“ zu verdanken, „dessen exakte und faire Leitung des Spiels genau das war, was die Situation verlangte. " Es blieb die einzige Niederlage der Argentinier bei dieser WM. Vielleicht weil Klein ein besserer Unparteiischer war als seine Kollegen.
„Mit Sport hatte das nichts zu tun“
Viele Experten gingen nun davon aus, dass Klein das Finale zwischen dem Gastgeber und den Niederlanden leiten würde. Brian Glanville schrieb in der Sunday Times: „Ich hoffe, der tapfere, kleine Israeli Abraham Klein bekommt das Finale.“ Aber die argentinischen Funktionäre lehnten den Israeli ab. Statt Abraham Klein erhielt der Italiener Sergio Gonella den Zuschlag, angesichts der engen historischen Beziehungen zwischen Argentinien und Italien eine fragwürdige Entscheidung. Für Klein blieb nur das „kleine“ Finale zwischen Brasilien und Italien. Der deutsche WM-Schiedsrichter Ferdinand Biwersi empörte sich später: „Was rund um die Schiedsrichteransetzung bei dieser WM geschehen ist, war schlimm. Mit Sport hatte das nichts zu tun.“ Der walisische Referee Clive Thomas nannte die Entscheidung pro Gonella eine „große Schande“.
Tatsächlich zeigte sich Gonella bei den 120 Minuten zwischen Argentinien und den Niederlanden überfordert. Auf dem miserablen Rasen des Estadio Monumental entwickelte sich nicht nur ein temporeiches, sondern auch das körperbetonteste Finale der WM-Geschichte, in dem beide Teams mächtig austeilten. Nach nur fünf Minuten hatten Gonella bereits acht Freistöße gepfiffen, wobei auffiel, dass der Italiener bei argentinischen Vergehen schon mal ein Auge zudrückte. Den Niederländern wurde schnell klar, dass dies kein normales Finale werden würde. Ruud Krol: „Im Finale mussten wir gegen Argentinien, das Publikum, die Schiedsrichter und die Organisation spielen.“
Eine These lautet, Klein habe das Finale nicht bekommen, weil die Argentinier der Auffassung waren, er würde als Jude und wegen seiner Liebe zu Apeldoorn zwangsläufig mit den Niederlanden sympathisieren. Wahrscheinlicher ist, dass Klein die Gastgeber mit seinem aufrechten Auftritt beim Spiel gegen Italien fürchterlich genervt hatte. Antisemitismus dürfte aber auch eine Rolle gespielt haben. Ein Jahr nach der WM wurde Julio Grondona, genannt „der Pate“, Boss des argentinischen Fußballverbands. Ab 1988 saß er auch im FIFA-Exekutivkomitee, später wurde er Vorsitzender der Finanzkommission des Weltfußballverbands. 2003 erzählte Grondona, was er von jüdischen Schiedsrichtern halte: „Ich glaube nicht, dass Juden Top-Schiedsrichter sein können. Dies würde harte Arbeit bedeuten und, wissen Sie, Juden mögen keine harte Arbeit.“
Kleins Nominierung für die WM 1982 war zunächst unsicher. Mit Algerien und Kuwait hatten sich zwei arabische Länder für die Endrunde in Spanien qualifiziert. Arabische TV-Stationen drohten mit einem Boykott, sollte ein Israeli beim Turnier pfeifen. Schließlich wurde ein Kompromiss gefunden: Klein durfte pfeifen, aber bei Übertragungen in die arabische Welt verschwand sein Name vom Bildschirm. Klein leitete die dramatische und hochklassige Begegnung Brasilien gegen Italien, die der spätere Weltmeister mit 3:2 gewann. Der Israeli pfiff wie immer exzellent und wurde erneut als Kandidat für das Finale Italien gegen Deutschland gehandelt. Aber den Zuschlag erhielt der Brasilianer Arnaldo Coelho. Immerhin durfte Klein als Linienrichter amtieren. Und im Falle einer Wiederholung des Finales wäre er mit der Leitung des Spiels betraut worden.
Dietrich Schulze-Marmeling
WM 1982: Kein Fest für den Generalísmo
Als 1982 die WM-Endrunde in Spanien stattfand, war das Land erfolgreich dabei, seine Vergangenheit als Diktatur endlich zu überwinden. Hat die FIFA mit ihrer Gastgeberwahl diesen Weg honoriert? Keineswegs ...
„Boykott“ auf dem Spielfeld
Die 12. FIFA Fußball-Weltmeisterschaft fand 1982 mit Spanien in einem Land statt, das zu jenem Zeitpunkt nur wenig Anlass zu einem Boykott bot, zumindest was die politische und soziale Lage betraf. Nach fast 40 Jahren franco-faschistischer Diktatur befand sich Spanien nach dem Tod des Generalísmo (1975) in den Endjahren der Periode, die Historiker heute als Transición bezeichnen. Spätestens seitdem rund 18 Monate vor Beginn der WM ein bewaffneter Staatsstreich unblutig und hauptsächlich durch das kluge wie geduldige Einwirken des jungen Staatsoberhauptes König Juan Carlos I beendet wurde, befand sich das Land auf dem Weg in eine Demokratie westlicher Prägung.
Und doch kam es bei der Weltmeisterschaft 1982 gewissermaßen zu einem Boykott, und zwar auf dem Spielfeld. Beim 1:0 zwischen Deutschland und Österreich in Gijón, das beiden zum Sprung in die Zwischenrunde verhalf und Algerien frühzeitig nach Hause beförderte, wurde von den beiden Nachbarländern so ziemlich alles boykottiert, was den Fußball ausmachen sollte, allem voran das Fairplay.
Das unwürdige Ballgeschiebe, das die beiden Teams in der zweiten Halbzeit ungeniert darboten, provozierte nicht nur die Zuschauer im Estadio El Molinón, sondern auch Millionen vor den Bildschirmen. Die Akteure auf dem Rasen kümmerte das jedoch wenig, sie spielten das für beide favorable Ergebnis bis zum Schluss herunter. Wasser auf die Mühlen derer, die fast 40 Jahre nach dem Weltkrieg wieder die „hässlichen Deutschen“ zu erkennen begannen. Toni Schumachers brutales Foul an Patrick Battiston im Halbfinale gegen Frankreich und besonders seine arrogante Reaktion im Anschluss daran taten ihr Übriges.
FIFA mit Fingerspitzengefühl?
Für die junge spanische Demokratie bot die WM eine exzellente Gelegenheit, sich als weltoffenes Land auf dem Weg in die Europäische Gemeinschaft zu präsentieren. Die Beitrittsverhandlungen liefen bereits seit 1977, der Beitritt selbst sollte jedoch letztendlich 1986 gemeinsam mit Portugal erfolgen. Im WM-Jahr 1982 wurde der Beitritt zur NATO vollzogen, der innerhalb des Landes durchaus umstrittener war als der zur Europäischen Gemeinschaft. Im Prinzip könnte man also an dieser Stelle dem Fußball-Weltverband gratulieren. Scheinbar wurde mit viel Fingerspitzengefühl ein Gastgeber ausgewählt, der sich nach Jahrzehnten der Isolation auf dem richtigen politischen und gesellschaftlichen Weg befand. Ein Stups in die richtige Richtung: die WM als Wegbereiter in die Demokratie und zur Verfestigung rechtsstaatlicher Strukturen. Dass die FIFA hier ein glückliches Händchen hatte, lässt sich nicht bestreiten. Wer hier allerdings Absicht unterstellt, der irrt bzw. geht davon aus, dass die damaligen Funktionäre hellseherische Fähigkeiten hatten.
Die Vergabe für die WM 1982 fand nämlich bereits 16 Jahre zuvor statt, und zwar auf dem FIFA-Weltkongress in London im Jahr 1966. Nie zuvor und nie danach legte sich der Weltverband so frühzeitig auf einen Austragungsort fest. Zeitgleich erfolgten die Vergaben der Turniere von 1974 und 1978 an Deutschland und Argentinien. Und selbst wenn uns 16 Jahre Weltgeschichte aus heutiger Sicht kurz erscheinen, muss man konstatieren, dass das faschistische Spanien von 1966 nur äußerst wenig mit dem Land zu tun hatte, das 1982 tatsächlich das Turnier austragen sollte. Die FIFA vergab 1966, nur gut 20 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkrieges, ihr wichtigstes Fußball-Event an einen totalitären, faschistischen Staat, der bis zu jenem Zeitpunkt zehntausende Regimegegner hatte hinrichten lassen bzw. in Konzentrationslagern und Gefängnissen inhaftiert hatte.
Auch wenn man damals davon ausgehen konnte, dass Francisco Franco das Turnier nicht mehr miterleben würde – er wäre beim Turnierstart 89 Jahre alt gewesen –, war unvorhersehbar, was danach kommen würde. Die Ernennung von Juan Carlos I. als Nachfolger Francos erfolgte erst 1969. Und selbst wenn diese bereits 1966 festgestanden hätte, wäre sie keine Garantie für einen Übergang in eine Demokratie gewesen. Nicht umsonst dauerte der Prozess der Transición sieben Jahre und stand wie erwähnt sogar noch 1981 beim versuchten Putsch auf der Kippe.
Diktator Franco greift ein
Der Fußball war für Francisco Franco – ganz in der Tradition anderer autoritärer Regime – Mittel zur Machtdemonstration und Propaganda-Werkzeug zugleich. Wie eng Sport und Politik miteinander verschlungen waren, zeigte beispielsweise der Europokal der Nationen 1960, der heute als so etwas wie die erste Fußball-Europameisterschaft gilt. Das Turnier, das über mehrere Jahre verteilt ausgespielt wurde, sah im Viertelfinale die Begegnung der Spanier gegen die Sowjetunion vor. Diese wurde jedoch kurzerhand vom spanischen Verband – freilich auf Geheiß des Generalísimo höchstselbst – abgesagt. Eine Partie auf Feindesboden war schlicht unvorstellbar. Sicherlich spielte auch die Angst mit, trotz der exzellent aufgestellten Nationalelf das Duell und somit auch das Gesicht zu verlieren. Ein zu heikles politisches Unterfangen in einer Zeit, in der die wirtschaftliche Lage in Spanien aufgrund der jahrzehntelangen Isolation immer prekärer wurde, wenngleich Ende der 1950er Jahre ein Prozess der internationalen Öffnung eingeleitet worden war.
Da der Fußball im Faschismus natürlich nur dann als Demonstration der eigenen Überlegenheit taugt, wenn ausschließlich nationale Spieler erfolgreich sind, beschloss Franco bereits 1953, dass in der Primera División – schon damals eine Profiliga – keine Ausländer verpflichtet werden durften. Wie in allen anderen gesellschaftlichen Bereichen herrschte auch im Fußball die Angst davor, dass Fremdes die eigene Kultur und Identität gefährdete. Das Verbot, das nicht selten durch Einbürgerungen umgangen wurde (prominente Beispiele sind Ferenc Puskás und Alfredo di Stéfano), hatte bis 1973 Bestand und sollte zudem zu einer Stärkung der Nationalmannschaft führen. Allerdings dauerte es elf Jahre, bis sich, trotz der Dominanz von Real Madrid auf europäischer Klub-Ebene mit sechs Europapokal-Titeln zwischen 1956 und 1966, der Erfolg einstellte. Im Finale der Europameisterschaft 1964 war Spanien der Gastgeber, und Franco konnte als solcher der Sowjetunion nicht wie vier Jahre zuvor aus dem Weg gehen. Erst recht nicht im großen Finale im Estadio Santiago Bernabéu. Durch den Sieg der Spanier über die verfeindeten Kommunisten wurde das Turnier für die Faschisten ein großer Propaganda-Coup. „Unsere Einheit und unser Patriotismus sind vor Millionen von Menschen, die das Spiel auf der ganzen Welt verfolgt haben, unter Beweis gestellt worden“, wurde Franco am Tag nach dem Spiel zitiert.
So präsentierte sich Spanien auf dem FIFA-Kongress 1966 als strahlender Europameister, der zudem zugunsten der Engländer bereits seine Kandidatur für die WM 1966 zurückgezogen hatte. Spanien und Deutschland hatten sich für die Jahre 1974 und 1982 beworben. Während Spanien sich für 1974 zurückzog und somit den Heim-Triumph der Deutschen ermöglichte, tat Deutschland Gleiches für Spanien und ermöglichte dem Franco-Regime die WM 1982, bei der letztendlich die Italiener triumphieren sollten. Während die WM 1978 in Argentinien noch heute als hochumstritten gilt, spielte die Geschichte der FIFA für das Jahr 1982 in die Karten. Was unter den Franco-Faschisten als Wiederholung des Propaganda-Triumphes von 1964 eingeplant war, wurde zum Fußballfest einer jungen Demokratie.
Dirk Segbers
WM 1998 (I) – BLACK / BLANC / BEURRE??
Obwohl Gastgeber Frankreich Weltmeister wurde, kritisierte der französische Rassist und Rechtextremist Jean-Marie Le Pen die „rassische Zusammensetzung“ der L’Équipe Tricolor. Spieler wie Sabri Lamouchi, Zinédine Zidane, Youri Djorkaeff, Christian Karembeu und Bernard Lama wurden von Le Pen konsequent als „Ausländer“ bezeichnet, die die französische Nationalität nur gewählt hätten, um international Fußball spielen zu können.
Das Team, mit dem Frankreich ins Turnier ging, war das multikulturellste, das eine WM je gesehen hatte, und der 3:0-Finalsieg über Brasilen geriet zum harten Schlag ins Gesicht von Rassisten und Rechtsextremisten. Aus den Nationalfarben „bleu-blanc-rouge“ (blau-weiß-rot) wurde über Nacht „black-blanc-beur“ – schwarz, weiß und die dunkle Tönung der maghrebinischen Einwohner. Das französische Team demonstrierte der ganzen Welt, „dass Rassenvielfalt ein nationales Guthaben sein kann, wen alle gemeinsam ein Ziel verfolgen“, wie der Spiegel schrieb.
„Frankreich hat seine Seele wiedergefunden“
Die siegreiche Équipe Tricolore wurde zum Symbol eines neuen Republikanismus und der Überlegenheit republikanischer Werte. Für Staatspräsident Chirac hatte „Frankreich seine Seele wiedergefunden“. Der Philosoph Pascal Bruckner sah sein Land aus einer „Depression“ heraustreten, die Frankreich zehn Jahre niedergedrückt habe: „Der Sieg wird wahrgenommen wie eine Wiedergeburt unserer selbst nach einer Periode der Finsternis.“ Der Schriftsteller Jean d’Ormesson frohlockte, der Fußball sei das „konstitutive Element – vielleicht das einzige – eines neuen Gesellschaftsvertrags.“
Doch die mit dem Sieg von black-blanc-beur verbundenen Hoffnungen entfalteten keine Nachhaltigkeit. Nur vier Jahre nach dem WM-Triumph konnte Jean-Marie Le Pen in der ersten Runde der Präsidentschaftswahlen den Kandidaten der Sozialisten, Premierminister Lionel Jospin, auf Platz drei verweisen, unterlag in der Stichwahl dann jedoch Amtsinhaber Jack Chirac.
Dietrich Schulze-Marmeling
Bei diesem Text handelt es sich um die leicht überarbeitete Fassung eines Beitrags aus dem Buch „Boykottiert Katar 2022! – Warum wir die FIFA stoppen müssen“, 2021 erschienen im Verlag Die Werkstatt.
WM 1998 (II) – DIE BLUTTAT VON LENS
Es passiert am 21. Juni 1998, einem Sonntag. Im Félix-Bollaert-Stadion von Lens, wird um 14.30 Uhr die Vorrundenpartie Deutschland gegen Jugoslawien angepfiffen; Lothar Matthäus bestreitet seine 22. WM-Partie und stellt damit einen Weltrekord auf. Doch das wird unwichtig sein am Ende des Tages.
Deutsche Hooligans randalieren
Ein Kilometer vom Stadion entfernt, in der Innenstadt von Lens, braut sich Ungutes zusammen. Schon seit dem Vormittag haben Polizeibeamte voll Sorge beobachtet, dass deutsche Hooligans in der Stadt eintreffen, sich am Bahnhof herumtreiben, Alkohol trinken. 641 Personen wird man am Ende gezählt haben, die in Deutschland als Hools mit besonders hoher Gewaltbereitschaft registriert sind und sich an diesem Tag in Lens aufhalten. Es herrscht eine aggressive Stimmung, es kommt zu Handgreiflichkeiten.
Die Situation ist unübersichtlich, den ganzen Vormittag über ist das Zentrum der Kleinstadt überlaufen; 41.000 Zuschauer werden zu dem Spiel erwartet, 20.000 weitere sind in der Hoffnung gekommen, noch eine Eintrittskarte zu ergattern. Doch freie Karten gibt es nicht mehr, und wenn, sind sie auf dem schwarzen Markt absurd überteuert. In der überfüllten Fußgängerzone suchen die Menschen nach Gelegenheiten, das Spiel im Fernsehen zu verfolgen. Dort, wo Hooligans dabei sind, fliegen Flaschen, gehen Scheiben und Stühle zu Bruch. Als ein Wirt den Fernseher schon zehn Minuten vor Abpfiff des Spiels ausschaltet, wird sein Restaurant regelrecht auseinandergenommen.
Lebensgefährlich verletzt
Nach Spielende setzen sich Gruppen gewaltbereiter Deutscher in Bewegung, halten nach englischen oder jugoslawischen Hools Ausschau, mit denen sie sich prügeln wollen. Massive Polizeieinsätze verhindern das an verschiedenen Stellen. Doch sie können nicht überall mit starken Kräften präsent sein. Als eine Gruppe deutscher Hools die stille Rue Pruvost entlangzieht, sieht sie sich lediglich drei französischen Polizeibeamten gegenüber. Etwa sieben Gewalttäter gehen sofort auf sie los, zwei Polizisten können zurückweichen, doch Daniel Nivel stürzt aufs Pflaster und verliert dabei seinen Helm. Er muss schwere Schläge und Fußtritte einstecken; einer der Hools hat sich den Aufsatz von Nivels Gewehr geschnappt und schlägt damit wild auf den Wehrlosen ein. Die Schläger lassen erst von ihm ab, als einer der anderen Polizisten eine Tränengrasgranate abfeuern kann.
Nivel hat lebensgefährliche Verletzungen erlitten, dauerhafte Schädigungen am Hirn, er liegt lange im Koma und wird fortan auf Pflege angewiesen sein. Nie zuvor hat es bei einer Fußball-Weltmeisterschaft einen vergleichbar gezielten Gewaltakt gegeben, nie zuvor wurde vorsätzlich eine solch ungezügelte Aggressivität ausgeübt. Es ist ein abscheulicher Kontrapunkt zum friedlich-fröhlichen Anspruch eines globalen Fußballfestes, zum munteren Auftreten der Multi-Kulti-Mannschaft von Gastgeber Frankreich, zu der erfreulichen Entwicklung, dass dieses Turnier mehr Teams aus aller Welt zusammengebracht hat als je eine WM zuvor.
Ein Schock und die Folgen
In Deutschland ist man geschockt. Der Fernsehjournalist Tibor Meingast, der die Tat und ihre Folgen intensiv recherchiert hat und ein Buch darüber veröffentlichte, beobachtete aber auch Zwiespältiges: „Politiker geißeln die grausamen Tat, die Welle der Empörung ist groß, das Verbrechen betrifft jetzt die ganze Republik. Aber keine Staatsanwaltschaft in Deutschland will den mit großem Fahndungsaufwand verbundenen Fall übernehmen.“ Erst sechs Tage nach der Tat wird in Hannover eine spezielle Fahndungsgruppe eingerichtet. Aus ihren Ermittlungen resultieren in den folgenden Jahren zahlreiche Prozesse; verurteilt werden Täter, die an dem Gewaltakt gegen Nivel oder anderen Exzessen in Lens beteiligt waren.
Doch lange Zeit ist der Haupttäter nicht gefunden – jener Mann, der auf Nivel einschlug, als der wehrlos am Boden lag. Dass er schließlich überführt und wegen versuchten Mordes zu zehn Jahren Haft verurteilt wird, ist dem Mut des Sozialarbeiters Burkhard Mathiak zu verdanken, der im Schalker Fanprojekt tätig ist. Er hat ihn auf jenem berühmten Foto, das von der Tat veröffentlicht wurde, als einen seiner Klienten erkannt und stellt sich als Zeuge zur Verfügung – im Bewusstsein, dass dieser Schritt die eigene berufliche Existenz zerstört, ihm ernste Bedrohungen an Leib und Leben einträgt und ihn und seine Familie vorübergehend zum Untertauchen zwingt. Die Aussage „hat besser zu mir gepasst, als wenn ich nichts gesagt hätte“, zitiert ihn Tibor Meingast in seinem Buch „Der Zeuge von Lens“. „Man muss doch auch mal die Interessen der Allgemeinheit vertreten.“
Seither hat sich die Polizeiarbeit intensiviert und der Sicherheitsstandard der großen Stadien erhöht, wurden Präventionsprogramme aufgelegt und bescheidene Mittel für Fanprojekte lockergemacht. Das Phänomen aggressiver Fangruppen im deutschen Fußball aber ist geblieben; manche Fachleute sprechen sogar von einer wachsenden Gewaltbereitschaft. Der Psychologie und Fanforscher Martin Thein sieht auch ein Versagen der großen Vereine: „Als Wirtschaftsfaktor werden die Zuschauer gerne angenommen, aber eben nicht, wenn sie Probleme machen. Dann heißt es, wir sind Fußballklubs und keine Sozialarbeiter, aber tatsächlich sind Vereine von ihrem Ursprung her soziale Gebilde. Man kann nicht nur die positiven Werte schöpfen, man muss sich auch um Fehlentwicklungen kümmern.“
Ein Beispiel könnte die Daniel-Nivel-Stiftung geben, die im Jahr 2000 mit einer Million Mark ins Leben gerufen wurde; die Hälfte davon kam aus Deutschland. Die Stiftung organisiert unter anderem Begegnungen zwischen Polizisten und Fanvertretern mit dem Ziel, Feindbilder abzubauen. Der ehemalige DFB-Präsident Theo Zwanziger hofft, „dass der Name Daniel Nivel auch national genutzt werden würde im Kampf des DFB gegen Diskriminierungen, Fremdenhass oder Gewalt“. Ein langer Atem dabei wäre von Vorteil.
Bernd Beyer
Bei diesem Text handelt es sich um die leicht überarbeitete Fassung eines Beitrags aus dem „Goldenen Buch der Fußball-Weltmeisterschaft“, 2014 erschienen im Verlag Die Werkstatt.
WM 2010 – ERSTE WM IN AFRIKA
Für die WM 2010, die nach dem inzwischen wieder suspendierten Rotationsprinzip auf jeden Fall in Afrika stattfinden sollte, hatten sich neben Südafrika zunächst noch die vier nordafrikanischen Länder Marokko, Ägypten, Tunesien und Libyen beworben. Tunesien und Libyen verabschiedeten sich vorzeitig aus dem Rennen. Als das 24-köpfige FIFA-Exekutivkomitee am 15. April 2004 in Zürich über das Austragungsland 2010 entschied, stimmten die vier Afrikaner im Gremium geschlossen gegen die Republik am Kap.
Von allen Bewerbern verfügte Südafrika über die besten Voraussetzungen. Das Land verfügte über eine international wettbewerbsfähige Industrie und trug fast ein Drittel zum gesamten Bruttoinlandsprodukt Afrikas bei. Ähnlich wie Brasilien war Südafrika Erste und Dritte Welt zugleich, gleichwohl wurden die Vormachtstellung und der Führungsanspruch der Nation am Kap im Rest des Kontinents schon eine Zeitlang mit Argwohn betrachtet. Dort war man sich nicht sicher, ob Südafrika wirklich ein afrikanisches Land sei oder nur ein „Lakai“ des Westens. Noch Mitte der 1990er-Jahre hatte Nigerias damaliger Außenminister Südafrika als „ein weißes Land mit einem schwarzen Präsidenten“ charakterisiert.
Wirtschaftliches Sprungbrett für Expansionen
Es waren keineswegs altruistische Gründe, aus denen Afrika 2010 erstmals in den Genuss einer WM geriet. Der französische Soziologe Patrick Vassort, ein Experte für die Beziehungen zwischen Sport und Politik: „Aus kommerzieller Hinsicht ist die Weltmeisterschaft 2010 ein exzellentes Sprungbrett für die Expansion in den afrikanischen Markt, genau wie sie es 1994 für den amerikanischen und 2002 für die asiatischen Märkte war.“
Sofern die WM 2010 eine neue, verbesserte Stellung Afrikas im Weltfußball dokumentierte, war es eine domestizierte, instrumentalisierte Stellung, die sich auf die lokalen Fußball-Eliten beschränkt und von deren Kollaborationsbereitschaft abhängt. Blatters Votum für Südafrika und seine Bemühungen, die WM 2010 zu einem pan-afrikanischen Projekt zu deklarieren, dienten primär der langfristigen Sicherung seiner Machtbasis als FIFA-Präsident.
In Europa wurde die Wahl Südafrikas bis zum Anpfiff des Turniers durch die Brille des Afrika-Pessimismus betrachtet. Lange wurde angezweifelt, ob die WM überhaupt in Afrika stattfinden könne. Die Medien berichteten permanent von Problemen mit der Infrastruktur, Verzögerungen beim Bau der Stadien, von Aids und Kriminalität.
Flügel fürs Selbstbewusstsein
Schließlich mussten jedoch auch die größten Skeptiker einräumen, dass sie das Austragungsland grob unterschätzt hatten. Der Mehrwert, den diese WM für Afrika erzielte, ließ sich nicht in Dollar, Euro oder Rand berechnen – er ist eher politisch-psychologischer Natur. Bartholomäus Grill, Afrika-Korrespondent der Zeit:„Seit dem Ende der Kolonialherrschaft in den 1960er-Jahren gab es kein Ereignis, das das afrikanische Selbstbewusstsein mehr beflügelt hat.“ Grill entdeckte in Südafrika einen „Optimismus wie seit dem Untergang der Apartheid nicht mehr.“
Beim ersten Turnier auf dem afrikanischen Kontinent triumphierte Spanien. Spanien? Oder doch eher Katalonien? Im Finale jedenfalls liefen sechs Katalanen für „La Roja“ auf. Nach dem Schlusspfiff drehten zwei von ihnen, Xavi Hernández und Carles Pujol, ihre Ehrenrunde mit der Senyera, der Fahne dr autonomen Gemeinschaft Kataloniens. Einen Tag zuvor hatten in Barcelona Hunderttausende unter dem Motto „Adieu Espanya“ für katalanische Unabhängigkeit demonstriert.
Dietrich Schulze-Marmeling
Bei diesem Text handelt es sich um die leicht überarbeitete Fassung eines Beitrags aus dem Buch „Boykottiert Katar 2022! – Warum wir die FIFA stoppen müssen“, 2021 erschienen im Verlag Die Werkstatt.
„Kick for one World … but kick Daimler“ & “Star of Apartheid” (2010)
Die erstmalige Austragung einer Fußball-Weltmeisterschaft auf dem afrikanischen Kontinent wurde von allen Seiten begrüßt. Nach dem Ende der legitimierten, rassistisch-kapitalistischen Apartheid im Jahr 1994 sahen viele in der 2010er-WM die weitere Chance für ein „Nation Building“ durch ein internationales Sportevent; ähnliches war 1995 bereits mit der Rugby-WM für eine gewisse Zeit erreicht worde. Daher war die kritische Begleitung der Fußball-WM in der früheren Anti-Apartheid-Szene und bei Südafrikaner*innen nicht unumstritten. Gleichzeitig waren es aber auch das sozioökonomische und politische Erbe der Apartheid, die zur kritischen Begleitung der Meisterschaft aufforderte. Zwei internationale Kampagnen, getragen von südafrikanischen und deutschen zivilgesellschaftlichen Organisationen, gründeten sich im Vorfeld der WM.
„Kick for one World“ griff die Regularien der FIFA auf und an. Frühzeitung wurden die Anforderungen an große, erst noch zu bauende Stadien kritisiert. Denn es war absehbar, dass deren Kapazitäten nach der WM nie wieder in vollem Umfang benötigt werden. Nicht nur die Investitionen, auch die Folgekosten für die infrastrukturellen Maßnahmen im Zusammenhang mit dem Fußballgroßereignis trug vornehmlich der südafrikanische Staat. Während die FIFA ihre bis dahin profitabelste WM ausrichtete und Sepp Blatter sich zum Satz hinreißen ließ, er wäre danach „der glücklichste Mann der Welt“, blieb Südafrika auf einem Verlust von circa 2,7 Milliarden Dollar sitzen. Gelder, die damit – etwa für soziale Belange – für immer verloren waren.
Ein südafrikanischer Träger der „Kick for one World“-Kampagne war die NGO Streetnet aus Durban. Die Selbstorganisation (informeller) Straßenhändler*innen kritisierte den Ausschluss ihrer Mitglieder durch den von der FIFA festgelegten Bannkreis um die Stadien sowie das Verkaufsverbot von Nachahmerprodukten lizenzierter FIFA-Produkte. Aus Sicht von Streetnet waren die Armen in den Städten die Verlierer der WM – sowohl als Verkäufer*innen als auch als Fußballbegeisterte, denn gerade einmal zwei Prozent der Tickets für das Turnier konnten von Südafrikaner*innen erworben werden. Forderungen nach kostenlosen Public-Viewing-Möglichkeiten für die heimische Bevölkerung wurde seitens der FIFA ignoriert.
Die Kampagne griff aber auch oftmals vermittelte „Afrikabilder“ auf und an, kritisierte die Berichterstattung einiger/etlicher/vieler? deutscher Medien im Vorfeld, die sich intensiv um unzureichende Infrastruktur und vor allem um Kriminalität und vermeintliche Unsicherheit im Land drehte. Es waren dieselben Medien, die im Vorfeld der Fußball-WM in Deutschland 2006 mit Vehemenz gegen „angebliche No-go-areas“ aussprachen, um vor potentiellen rassistischen Übergriffe zu warnen. Jetzt aber wurde erwartete Gewalt und Kriminalität das beherrschende Thema.
Eine zweite Kampagne – „Star of Apartheid“ – griff ein weiteres Erbe der Apartheid mit besonderem Bezug zu Deutschland auf. Bereits 2002 hatten südafrikanische Aktivist*innen, unter ihnen die Khulumani Support Group, vor einem New Yorker Gericht 23 Unternehmen – darunter der Rüstungskonzern Rheinmetall und die DaimlerChrysler AG – wegen Beihilfe für Menschenrechtsverletzungen während der Apartheid verklagt. Der deutsche Autobauer, so die Kläger, habe etwa der südafrikanischen Armee und Polizei Nutzfahrzeugen samt Komponenten geliefert, die im Fortgang zur Niederschlagung politischer Proteste eingesetzt wurden. Diese Geschäftsbeziehung hatte auch nach dem Jahr 1966 Bestand, als die UN-Vollversammlung die Apartheid als „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ bezeichnet hatte.
Zur WM 2010 in Südafrika – das Verfahren war zu diesem Zeitpunkt schwebend, die Klage wurde erst 2013 als nicht ausreichend begründet abgewiesen – war Daimler sogenannter Generalsponsor der deutschen Nationalelf. Auf ihren Trainingsanzügen trug „die Mannschaft“ den Mercedes-Stern. Insbesondere für die südafrikanische Organisation Khulumani und den Trägerkreis, bestehend aus den NGOs medico-international, KASA, KOSA und SODI, ein inakzeptabler Zustand. Ihre Forderungen an Daimler zielten auf eine Anerkennung des in Südafrika begangenen Unrechts, Entschädigungszahlungen sowie das Öffnen der Archive für eine unabhängige Aufarbeitung dieses Teils der Unternehmensgeschichte. Eine Vielzahl von Aktivitäten wurden durchgeführt: von eigens produzierten Liedern, über Mobi-Videos für Flashmobs, eine Unterschriftenaktion bis hin zum Verschicken von Briefen an Daimler und den damaligen DFB-Präsidenten Theo Zwanziger. Deren Antworten waren Inbegriffe des Verdrängens, Leugnens und Bagatellisierens. Bis heute hat sich der inzwischen als Daimler AG firmierende Konzern nicht mit diesem Teil seiner Geschichte auseinandergesetzt.
„Kick for one World“ reloaded (2014)
Die Kampagne „Kick for one World“ fand bei der WM in Brasilien ihre Fortführung. Dabei spielte vor allem der dortige Gewerkschaftsdachverband CUT eine wichtige Rolle in der Mobilisierung. Von Deutschland aus beteiligte sich insbesondere das Netzwerk Koordination Brasilien (KoBra). Sie kritisierten die fehlende Einbeziehung zivilgesellschaftlicher Gruppen und Gewerkschaften.
Bereits früh hatte sich in Brasilien sich ähnliche Entwicklungen wie in Südafrika abgezeichnet, insbesondere was die Auflagen der FIFA bezüglich Sponsorenverträgen sowie die aufwändigen Neu- und Umbauten von Stadien betraf. Als drei Jahre vor der WM erste Berichte von Zwangsräumungen in den WM-Spielstädten Rio de Janeiro, São Paulo und Porto Alegre zunahmen, rief das Proteste hervor: Breite zivilgesellschaftliche Bündnisse aus „Recht-auf-Stadt“-Aktivist*innen, Favela-Bewohner*innen und anderen NGOs kämpften gegen diese Vertreibungen; nach ihren Angaben waren insgesamt 250.000 Menschen in Brasilien von Zwangsräumungen für WM-Stadien und -Infrastruktur betroffen.
Im April 2011 starteten Gewerkschaften die Kampagne „fair games fair play“, die sich für menschenwürdige Arbeitsbedingungen einsetzte. Eine Vielzahl von Streiks wurde durchgeführt, viele durchaus mit Erfolg bezüglich der Abgeltung von Überstunden oder Lohnerhöhungen. Die Verdrängung von Straßenhändler*innen trat auch in Brasilien wieder auf. Doch anders als zuvor in Südfarika gelang es (inter)nationalen Kampagnen, die FIFA zu Zugeständnissen zu bewegen: So konnten 4.000 Straßenhändler*innen in den von der FIFA ausgewiesenen Sperrzonen verkaufen, ein sehr kleiner Tropfen auf den heißen Stein.
Stattdessen verbuchte die FIFA erneut Rekordumsätze, der brasilianische Staat blieb überwiegend auf den Kosten sitzen, jegliche sozio-ökonomische Effekte waren maximal nur kurzfristig und politische Handlungsräume wurden eingeschränkt.
Andreas Bohne
Bei diesem Text handelt es sich um die leicht überarbeitete Fassung eines Beitrags aus dem Buch „Boykottiert Katar 2022! – Warum wir die FIFA stoppen müssen“, 2021 erschienen im Verlag Die Werkstatt.
WM 2018 – DAS TURNIER DES AUTOKRATEN
Als bei der Ehrung des 21. Fußball-Weltmeisters ein kräftiger Schauer über das Moskauer Luschniki-Stadion niederging, konnte man für einen Moment glauben, der enttäuschte Fußballgott sei in Tränen ausgebrochen. Nur einer blieb dabei trocken: Russlands Herrscher Waldimir Putin, dessen Bodyguards rechtzeitig mit einem Schirm zur Stelle waren. Aber dem Hausherrn war es bei dem Turnier ohnehin nicht um Fußball gegangen, sondern darum, die Vorzüge eines autoritär regierten und kulturell extrem konservativen Staates gegenüber den seiner Meinung nach verweichlichten, liberalen Gesellschaften des Westens zu demonstrieren. Dass es diesen an „richtigen Männern“ mangelt, hatten russische Hooligans mit einem Blitzbesuch bei der EM 2016 in Frankreich demonstriert: Durchtrainierte junge Kampfsportler hatten englische Bierbäuche in die Flucht geschlagen. Die einer paramilitärischen Einheit ähnelnden Gewalttäter genossen die Unterstützung zumindest von Teilen der russischen Politik und des dortigen Fußballverbands. „Ich kann nichts Schlimmes an kämpfenden Fans finden. Im Gegenteil, gut gemacht, Jungs!“, sagte etwa Igor Lebedew, stellvertretender Präsident des russischen Parlaments und Mitglied im Vorstand des Fußballverbands.
Infantino klebt „wie Kaugummi an Potentaten
Gianni Infantino, den neuen FIFA-Boss, schien lediglich zu interessieren, dass Putin und Co. ihm ein perfekt organisiertes Turnier versprochen hatten – ohne Ausschreitungen von Hooligans. Die Süddeutsche Zeitungschrieb, Infantino klebe „wie ein Kaugummi an Potentaten“. Für die prekäre Menschenrechtslage in Russland interessierte sich der oberste aller Fußballfunktionäre kein bisschen.
Die WM 2018 reflektierte paradigmatisch die Zunahme von Nationalismus und Rassismus. So waren in Dänemark schon vor dem Turnierstart die farbigen Nationalspieler Martin Braithwaite, Yussuf Poulsen, Matthias Jörgensen und Pione Sisto rassistisch beleidigt worden. In Schweden wurde der Spieler Jimmy Durmaz in den sozialen Netzwerken mit rassistischen Schmähungen und Morddrohungen überschüttet, nachdem der auch im Besitz eines türkischen Passes befindliche Mittelfeldspieler in der Vorrundenpartie gegen Deutschland einen Freistoß verschuldet hatte, den Toni Kroos zum Siegtreffer für die DFB-Elf versenkte. Die schwedische Nationalmannschaft stellte sich in einem YouTube-Video geschlossen hinter Durmaz und skandierte: „Fuck Racism!“
Ganz anders die DFB-Elf. Nachdem die türkisch-stämmigen Nationalspieler Mesut Özil und Ikay Gündogan im Anschluss an eine Fotosession mit dem türkischen Autokraten Recep Erdogan vor Turnierbeginn öffentlich rassistisch attackiert worden waren, blieb eine kollektive Solidaritätsbekundung ihrer deutschen Mannschaftskollegen aus. Kroatiens Spieler wiederum feierten ihre Siege[BB1] in der Kabine mit dem Gruß der Ustascha-Faschisten und dem Song „Bojna Cavoglave“ der rechtsextremistischen Rockmusikers Thompson. In der Schweiz entflammte einmal mehr die Diskussion über den „ethnischen Charakter“ der Nationalelf: Zwei Drittel des eidgenössischen Kaders waren Kinder von Einwanderern, überwiegend aus der Balkanregion, die nun zur Zielscheibe von Vorurteilen und Hass wurden.
„Nos différences nous unissent“
Wie es anders geht, zeigte Weltmeister Frankreich, das wie schon beim Turniersieg 1998 vom multi-ethnischen Charakter seiner Nationalmannschaft profitierte: Die Eltern von Paul Pogba, N’Golo Kanté und Blaise Matudi stammen aus Guinea, Mali und Angola, der Vater des Jungstars Kylian Mbappé war aus Kamerun eingewandert, Samuel Umtiti wurde noch in Kamerun geboren. Auf der Innenseite der französischen Trikots stand: „Nos différences nous unissent“ („Unsere Unterschiede einigen uns“).
Auch Gianni Infantino verließ Russland mit einer Medaille. Nach der WM verlieh ihm sein Freund Wladimir Putin für seinen „enormen Beitrag zur Organisation der Fußball-WM 2018" den „Orden der Freundschaft“. Infantino bedankte sich artig: „Ich möchte mich bei Ihnen, sehr geehrter Präsident, und bei allen Menschen in Russland bedanken und Ihnen gratulieren, dass Sie die beste Weltmeisterschaft aller Zeiten ausgerichtet haben.“
Dietrich Schulze-Marmeling
Bei diesem Text handelt es sich um die leicht überarbeitete Fassung eines Beitrags aus dem Buch „Boykottiert Katar 2022! – Warum wir die FIFA stoppen müssen“, 2021 erschienen im Verlag Die Werkstatt.