WM und politik
Sportliche Großereignisse bringen es mit sich, dass die Gastgeber sich positiv präsentieren wollen – draußen in der Welt, aber auch beim eigenen Volk. Diese Präsentation muss nicht zwangsläufig unangenehm sein. Als Barcelona die Olympischen Sommerspiele 1992 austrug, nutzten Stadt und Land die Gelegenheit, sich als modern, demokratisch und vom Franco-Faschismus (bzw. seinen Erben) befreit darzustellen. Es wurde ein wunderbares buntes Fest.
Leider gibt es aber allzu viele negative Beispiele, auch bei den Fußball-Weltmeisterschaften, die nicht selten in autoritär oder gar faschistisch geführten Staaten stattfanden. Gerade bei solchen Regimes ist der Wunsch nach einer positiven Außendarstellung besonders groß und die Bereitschaft, dafür der FIFA entgegenzukommen, besonders ausgeprägt. Den Preis zahlt die Bevölkerung, politisch zumeist in Form zusätzlicher Repressalien, finanziell in Form zusätzlicher staatlicher Ausgaben, die zu Lasten der Sozialaufgaben gehen.
Die WM-Geschichte lehrt: Konsequenzen für die Bevölkerung sind der FIFA egal, solange sie selbst ordentlich kassieren und dem Gastgeberland die eigenen Bedingungen diktieren kann. Dies erklärt ein gewisses Faible, das die FIFA für solche Regimes hegt. Einige Beispiele für diese politischen Aspekte der WM-Geschichte wollen wir an dieser Stelle in loser Folge vorstellen. Wir beginnen mit der WM-Endrunde 1934, die im faschistischen Italien stattfand. Argentinien 1978 wird in späteren Beiträgen eine Rolle spielen. Aber auch andere politische Begleitumstände, die während WM-Endrunden oder Qualifikationen evident wurden, werden berücksichtigt, wie beispielsweise Boykottaktionen gegen Israel.
Externe Beiträge und andere Anregungen zu dieser kleinen Serie nehmen wir gerne entgegen – schreibt uns eine Mail.
WM 1934 – Wie Mussolinis Fußballkrieger das Turnier gewannen
Dietrich Schulze-Marmeling
1932 beauftragte der in Stockholm tagende FIFA-Kongress Italien mit der Austragung des zweiten WM-Turniers. Anders als beim Turnierauftakt 1930 sollten die Spiele nicht mehr nur in einer Stadt stattfinden. Damals waren die 18 Spiele allesamt in Uruguays Hauptstadt Montevideo und in nur drei Stadien ausgetragen worden.
Neben Italien hatte sich zunächst auch Schweden für die WM 1934 beworben. Aber während Italien acht Städte als Spielorte präsentierte, wollten die Schweden nur in Stockholm ein neues Stadion errichten, in dem dann sämtliche Spiele stattfinden sollten.
Italien garantierte der FIFA aber nicht nur ein Mehr an Stadien, sondern auch finanzielle Sicherheit. Die Italiener versprachen, für den Fall eines finanziellen Debakels alle Ausstände zu übernehmen. Mitbewerber Schweden konnte da nicht mithalten und zog seine Kandidatur zurück ...
Sportboykotte gegen NS-DeutschlanD
Bernd Beyer
Das autoritär, wenn nicht diktatorisch regierte Katar ist mit Nazi-Deutschland nicht zu vergleichen. Wenn an dieser Stelle an wenig bekannte Boykott-Aktionen gegen Sportveranstaltungen der NS-Zeit erinnert wird, sollen keine simplen historischen Parallelen gezogen werden. Allerdings ist zu berücksichtigen: Die berechtigten Boykottforderungen vor den Olympischen Spielen 1936 richteten sich noch nicht gegen das Deutschland des Holocaust und der Kriegsverbrechen (das sich damals noch niemand vorstellen mochte), sondern „nur“ gegen eine rassistische, antisemitische Diktatur.
WM 1938 – „DAVID TELL“ GEGEN NAZI-DEUTSCHLAND
Bernd Beyer
Das Turnier in Paris, das im Juni 1938 stattfand – und damit 14 Monate vor Beginn des Zweiten Weltkriegs –, stand bereits ganz im Zeichen von Hitlers Expansionspolitik. Im spanischen Bürgerkrieg wirkte die deutsche Wehrmacht wesentlich daran mit, das Blatt zugunsten des diktatorischen Franco-Regimes zu wenden. In der Tschechoslowakei betrieb das Deutsche Reich die Annexion der Sudetenregion. Und im März, nur drei Monate vor dem WM-Anpfiff, besetzten Wehrmachts- und SS-Verbände Österreich, um den sog. „Anschluss“ des Landes als „Ostmark“ ans Deutsche Reich durchzusetzen.
Letzteres hatte unmittelbare Auswirkungen auf das WM-Turnier, da Österreich qualifiziert war, aber nach Auflösung des ÖFB nicht mehr als eigenständiger Verband teilnehmen konnte. Reichstrainer Sepp Herberger musste eine politisch genehme „großdeutsche“ Auswahl zusammenbasteln, um die internationale Stärke des österreichischen Fußballs zumindest dem Schein nach anzuerkennen ...
WM 1942 – Das Turnier, das die Nazis veranstalten wollten
Bernd Beyer
Bei den Olympischen Spielen 1936 sowie dem WM-Turnier von 1938 hatte die deutsche Nationalelf schmählich versagt. Doch das wog letztlich wenig gegenüber dem Propagandaerfolg, den die Nazis mit den Berliner Spielen insgesamt verbuchen konnten. Außerdem hatten sie schon bei der WM 1934 in Italien erlebt, wie wunderbar Faschistenführer Mussolini auch ein Fußballturnier für seine politischen Zwecke ausbeuten konnte. So wundert es nicht, dass die nationalsozialistische Sportführung darauf erpicht war, schon bald ein WM-Turnier ins Reich zu holen.
Die Vorzeichen dafür schienen widersprüchlich ...
Bild: FIFA-Generalsekretär Ivo Schricker
WM 1950 – In einer neuen Weltordnung
Bernd Beyer
Zweimal war das WM-Turnier wegen des Zweiten Weltkriegs ausgefallen – 1942 und 1946 –, doch nun sollte es wieder losgehen. Die Organisatoren sahen sich einer Weltordnung gegenüber, die sich infolge des Krieges grundlegend verändert hatte. Nicht mehr das Vormachtstreben faschistischer Regimes beherrschte die politische Landschaft, sondern der Ost-West-Konflikt. Alle osteuropäischen Staaten wurden nun „realsozialistisch“ regiert und zählten zur Einflusssphäre der Sowjetunion; zugleich waren die USA zur Weltmacht aufgestiegen ...
WM 1954 – WAS DEN UNGARN GESCHAH
Werner Skrentny
Die WM 1954 wird in Deutschland natürlich vor allem mit dem Stichwort „Wunder von Bern“ verbunden. Die sportlichen wie politischen Aspekte dieses „Wunders“, seine gesellschaftliche Bedeutung für die junge Bundesrepublik, ist Thema ganzer Berge von Publikationen. Das alles wollen wir an dieser Stelle nicht erneut ausbreiten, sondern uns in diesem Beitrag des Fußball-Historikers Werner Skrentny der gegnerischen Mannschaft widmen, den im Finale so überraschend unterlegenen Ungarn. Mit den Endrunden-Teilnehmern Tschechoslowakei (Aus nach der Vorrunde); Österreich (WM-Dritter) und eben Ungarn zeigten die alten Mächte des legendären „Donau-Fußballs“ noch einmal ihr Können. Die politischen Umbrüche brachten es mit sich, dass es zugleich ihr Abgesang war.
WM 1958 – Ein beleidigter Titelverteidiger
Bernd Beyer
Als sich „Hammer“ Juskowiak in der 59. Minute des Halbfinals gegen Gastgeber Schweden zu einem Revanchefoul an seinem Gegenspieler Kurt Hamrin hinreißen ließ und vom Platz flog, war für die bundesdeutsche Mannschaft die WM 1958 gelaufen. Sportlich, weil man anschließend zwei Gegentreffer kassierte und mit 1:3 den erhofften Finaleinzug verpasste. Und stimmungsmäßig, weil man sich in eine beträchtliche Empörung steigerte und dieses Gefühl mit nicht wenigen Deutschen zu Hause teilte.
WM 1962 UND 1966 – Afrika im Abseits
Bernd Beyer
Dass es heutzutage normal ist, dass eine Reihe afrikanischer Teams an den WM-Endrunden teilnehmen, ist einer Entwicklung geschuldet, die erst in den 1960er Jahren begann. Den Durchbruch brachte ein Boykott der WM 1966.
Fußball im Dienst der Versöhnung: Emanuel Schaffer
WM 1970 – Emanuel Schaffers langer Weg
Bernd Beyer
Die WM-Endrunde 1970, die vor 50 Jahren in Mexiko stattfand, war die erste bisher einzige, an der Israel teilnehmen konnte. Mitverantwortlich für die erfolgreiche Qualifikation war auch das Wirken ihres legendären Trainers Emanuel Schaffer.
WM 1974 und 2006 –
Schwarz-rot-goldene Gastgeber
Bernd Beyer
Die WM-Turniere 1974 und 2006 fanden in der Bundesrepublik Deutschland statt. Die politischen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen unterschieden sich bei diesen Turnieren gewaltig. Und auch vom Augenschein her war es komplett anders: Während es 1974 außerhalb der Stadien kaum größere Menschenansammlungen gab, bei denen die Begegnungen gemeinsam verfolgt wurden, schon gar nicht in Nationaltracht – den Begriff „Public Viewing“ gab es noch nicht –, so schien 2006 das ganze Land in schwarz-rot-goldene Feierlaune getaucht zu sein. Was steckt hinter diesen Unterschieden?
WM 1978 (I) – Buenas noches, Argentina
Michael Bolten
Bereits am 6. Juli 1966 erteilte die FIFA den Ländern Deutschland (1974), Argentinien (1978) und Spanien (1982) den jeweiligen Zuschlag zur Ausrichtung der Fußball-WM. Acht Tage vor dieser Entscheidung putschte sich das Militär in Argentinien an die Macht und setzte den gewählten Präsidenten Arturo Umberto Illia ab. Diese zeitliche Abfolge fand bislang so gut wie keine öffentliche Beachtung. Doch sie bedeutet, dass zu dem Zeitpunkt, als die WM-Ausrichter der Jahre 1974 bis 1982 festgelegt wurden, in zwei der drei auserwählten Länder eine Militärdiktatur herrschte. Das argentinische Militär hielt sich gut sieben Jahre an der Macht, bevor das Land nicht zuletzt aufgrund heftiger Proteste zur Demokratie zurückkehrte – vorübergehend.
WM 1978 (II) – Fußball, FIFA, Antisemitismus.
Die Geschichte des Schiedsrichters Abraham Klein
Dietrich Schulze-Marmeling
Bei der WM 1978 beeindruckte unter den eingesetzten Schiedsrichtern vor allem der Israeli Abraham Klein mit seiner souveränen Leistung. Dass er nicht das Finale leiten durfte, hat auch mit Antisemitismus zu tun.
Bild: Abraham Klein, Schiedsrichter aus Israel (worldreferee.com)
WM 1982 – Kein Fest für den Generalísmo
Dirk Segbers
Als 1982 die WM-Endrunde in Spanien stattfand, war das Land erfolgreich dabei, seine Vergangenheit als Diktatur endlich zu überwinden. Hat die FIFA mit ihrer Gastgeberwahl diesen Weg honoriert? Keineswegs ...
WM 1998 (I) – BLACK / BLANC / BEURRE??
Dietrich Schulze-Marmeling
Obwohl Gastgeber Frankreich Weltmeister wurde, kritisierte der französische Rassist und Rechtextremist Jean-Marie Le Pen die „rassische Zusammensetzung“ der L’Équipe Tricolor. Spieler wie Sabri Lamouchi, Zinédine Zidane, Youri Djorkaeff, Christian Karembeu und Bernard Lama wurden von Le Pen konsequent als „Ausländer“ bezeichnet, die die französische Nationalität nur gewählt hätten, um international Fußball spielen zu können ...
WM 1998 (II) – DIE BLUTTAT VON LENS
Bernd Beyer
Es passiert am 21. Juni 1998, einem Sonntag. Im Félix-Bollaert-Stadion von Lens, wird um 14.30 Uhr die Vorrundenpartie Deutschland gegen Jugoslawien angepfiffen; Lothar Matthäus bestreitet seine 22. WM-Partie und stellt damit einen Weltrekord auf. Doch das wird unwichtig sein am Ende des Tages ...
WM 2010 – ERSTE WM IN AFRIKA
Dietrich Schulze-Marmeling
Für die WM 2010, die nach dem inzwischen wieder suspendierten Rotationsprinzip auf jeden Fall in Afrika stattfinden sollte, hatten sich neben Südafrika zunächst noch die vier nordafrikanischen Länder Marokko, Ägypten, Tunesien und Libyen beworben. Tunesien und Libyen verabschiedeten sich vorzeitig aus dem Rennen. Als das 24-köpfige FIFA-Exekutivkomitee am 15. April 2004 in Zürich über das Austragungsland 2010 entschied, stimmten die vier Afrikaner im Gremium geschlossen gegen die Republik am Kap ...
WM 2010 und 2014 –
Die Kampagne „Kick for one World”
Andreas Bohne
Vorbereitung und Durchführung der WM-Turniere 2010 in Südafrika sowie 2014 in Brasilien waren von erheblichen sozialen und ökologischen Problemen verbunden. In beiden Fällen organisierten Initiativen den Protest dagegen.
WM 2018 – DAS TURNIER DES AUTOKRATEN
Dietrich Schulze-Marmeling
Als bei der Ehrung des 21. Fußball-Weltmeisters ein kräftiger Schauer über das Moskauer Luschniki-Stadion niederging, konnte man für einen Moment glauben, der enttäuschte Fußballgott sei in Tränen ausgebrochen. Nur einer blieb dabei trocken: Russlands Herrscher Waldimir Putin, dessen Bodyguards rechtzeitig mit einem Schirm zur Stelle waren. Aber dem Hausherrn war es bei dem Turnier ohnehin nicht um Fußball gegangen, sondern darum, die Vorzüge eines autoritär regierten und kulturell extrem konservativen Staates gegenüber den seiner Meinung nach verweichlichten, liberalen Gesellschaften des Westens zu demonstrieren ...